Das Pestkind: Roman (German Edition)
fragte:
»Stirbt man daran?«
Milli nickte.
»Nicht sofort, es dauert lange und ist kein schöner Tod, das kann ich dir sagen. Es zieht sich, und man hat höllische Schmerzen. Die Opfer dieser Seuche werden irgendwann wirr im Kopf, es raubt ihnen den Verstand.«
Marianne schauderte.
»Wenn Helene …«
Milli nickte.
»Wenn ich was?«
Erschrocken drehten sich die beiden um. Helene stand hinter ihnen und sah sie neugierig an.
Marianne fing sich als Erste wieder und antwortete:
»Wenn du mit Friedrich geschlafen hast, dann bist du jetzt wahrscheinlich todkrank.«
Helene erstarrte.
Milli warf Marianne einen bösen Blick zu, sprang auf, führte Helene ans Feuer und setzte sie auf den Baumstumpf.
»Das muss nicht sein. Es kann sein, dass er sie nicht angesteckt hat. Manchmal passiert auch nichts.«
»Mit was angesteckt?«, fragte Helene, der alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war.
»Mit der Franzosenkrankheit«, antwortete Milli leise.
*
Auf dem Rückweg in die Stadt herrschte betretenes Schweigen. Marianne schämte sich, dass sie so freiheraus gewesen war. Sie hatte Helene keine Angst machen wollen. Aber andererseits musste diese doch wissen, dass sie krank sein könnte. Milli hatte ihr genau erklärt, worauf sie achten sollte. Das Lager wirkte heute wie ausgestorben, vereinzelt liefen Kinder an ihnen vorüber, und vor dem einen oder anderen Zelt saßen ein paar Frauen bei einem Plausch beieinander, aber Männer waren kaum zu sehen. Verwundert blickte sich Marianne um.
»Das ist aber heute still hier. Wo sind sie denn alle?«
Helene, die über den Themenwechsel sehr froh zu sein schien, deutete Richtung Fluss.
»In den frühen Morgenstunden wurde damit begonnen, den Inn zu überqueren. Ich habe auch erst heute Morgen davon erfahren. Seit Stunden werden Brückenboote aneinandergereiht. Bisher scheint auf dem anderen Ufer noch alles ruhig zu sein.«
Marianne wurde neugierig.
»Wollen wir zusehen?« Sie deutete auf einen schmalen Weg, der seitlich an der Stadt vorbei auf eine kleine Anhöhe führte, von der aus man einen wunderbaren Blick auf den Inn hatte. Sie hatte den winzigen Pfad erst vor einigen Tagen entdeckt und war inzwischen schon öfter dorthin gelaufen, um die Stille zu genießen, die sie an dem zauberhaften Platz oberhalb des Flusses umgab.
»Dort oben gibt es eine kleine Lichtung, von der man einen guten Blick hat.«
Helene zog die Brauen hoch.
»Ich weiß nicht. Was ist, wenn uns jemand entdeckt? Anna Margarethe wird uns bestimmt schon vermissen.«
Marianne sah ihre Freundin bittend an. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb sie plötzlich so neugierig war, aber sie wollte unbedingt sehen, was die Männer dort taten und ob alles gutging. Es war verrückt, schoss es ihr durch den Kopf. Vor wenigen Wochen hatte sie alles, was mit den Schweden zu tun hatte, verteufelt, und jetzt wünschte sie sich, dass genau dieselben Männer mit heiler Haut über den Fluss kamen.
»Es muss ja nicht für lang sein. Nur eine kleine Weile. Ich würde so gern sehen, wie das vonstattengeht.«
Helene gab nach. Der Reiz des Verbotenen lockte auch sie.
Sie verließen die Hauptstraße und folgten dem Pfad den Hügel hinauf. Die milde Morgensonne fiel sanft auf die satten Wiesen und ließ die Tautropfen der Nacht funkeln. Hinter der Wiese erhob sich ein kleines Wäldchen aus Birken und Weiden. Ein Eichhörnchen sprang aufgeregt über den Weg und floh in das Geäst der Bäume. Lächelnd sah Marianne dem Tier hinterher.
»Hast du das Eichhörnchen gesehen?«, fragte sie Helene, die freudig nickte. Die Anspannung schien aus ihrem Gesicht gewichen zu sein, und ihre Wangen hatten wieder ein wenig Farbe bekommen. Plötzlich blieb sie stehen und hielt Marianne an der Schulter zurück.
»Marianne, ich wollte dir noch etwas sagen.«
Marianne drehte sich um.
»Es ist wunderbar, dich hier zu haben, denn du tust mir gut. So ehrlich und liebevoll war noch nie jemand zu mir.«
Marianne sah Helene gerührt an und griff nach ihrer Hand.
Helene sprach weiter: »Am Anfang empfand ich dich als Last, denn Anna Margarethe hatte einfach bestimmt, dass ich mich um dich kümmern sollte. Aber inzwischen freue ich mich richtig, dass du bei mir bist. Mit dir ist in den Feldherrenhof endlich ein Mensch eingezogen, der zuhören kann und nicht nur auf seinen eigenen Vorteil aus ist. Die meisten Frauen hier wollen nur möglichst gut heiraten, sind rücksichtslos und hochnäsig. Du bist ganz anders.«
Marianne musste
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