Das Pestkind: Roman (German Edition)
Hand.
»Danke«, flüsterte sie.
»Für was bedankst du dich?«
»Dafür, dass du mich gerettet hast. Wärst du nicht gewesen …«
Er unterbrach sie und legte ihr seinen Finger auf die Lippen.
»Ist schon gut. Es ist ja nichts passiert. Wir sind rechtzeitig gekommen. Claude hat mir versprochen, dass keiner davon erfahren wird.«
Marianne nickte und trank von ihrem Wein.
»Erzählst du mir von deinem Freund aus der Kirche?«, fragte Albert irgendwann.
»Warum?«, fragte Marianne erstaunt.
»Weil er dir wichtig ist, und was dir am Herzen liegt, soll es mir doch auch. Ich will dich verstehen lernen, immerhin will ich dich heiraten.«
Marianne sah ihn nachdenklich an. Er machte es einem wirklich schwer, ihn zu hassen. Von Anfang an hatte er sie beeindruckt, und sogar damals in der Kirche hatte sie gespürt, dass von ihm keine Gefahr ausgehen würde, obwohl er ein Schwede war.
Liebevoll begann er, mit seinen Fingern über ihr Handgelenk zu streicheln, während Marianne von Rosenheim, von ihrem Bruder und den Mönchen erzählte. Sie ließ nichts aus, auch nicht, dass sie das Pestkind war.
Als sie geendet hatte, blickte sie wehmütig ins Feuer.
»Anderl wird es nicht verstehen.«
»Was wird er nicht verstehen?«
»Dass ich nicht mehr komme, am Ende bringt ihn der Büttel um, und ich bin nicht für ihn da gewesen.«
»Warum sollte er ihn denn umbringen?«
Sie berichtete von dem Abend im Hof, von dem Streit und dem Fund der Leiche und davon, dass Anderl unschuldig im Gefängnis saß. Sie erzählte ihm auch, dass Pater Franz ihr beim Abschied versprochen hatte, Anderl zu helfen.
Albert hörte die ganze Zeit interessiert zu, und mit jedem Wort, das sie sagte, begann er, sich mehr in sie zu verlieben. Wie sie ihre Hände bewegte und ihre Augen sehnsuchtsvoll ins Feuer blickten, faszinierte ihn.
»Ich hätte ihn nicht alleinlassen dürfen.« Marianne schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte.
»Er wird es nicht verstehen – wird glauben, ich komme zurück. Wir hatten doch nur noch uns.«
Zärtlich zog Albert sie an sich. Diesen Schmerz konnte er ihr nicht nehmen, denn er konnte ihrem Stiefbruder nicht helfen, aber für sie da sein, das konnte er.
Marianne ließ sich in seine Arme sinken. Irgendwann hob er vorsichtig ihr Kinn an und wischte ihr die Tränen von den Wangen. Ganz leicht berührten seine Lippen die ihren. Zuerst zuckte sie zurück, doch er folgte ihr und schob langsam seine Zunge in ihren Mund. Sie fühlte sich warm und weich an und schmeckte nach Wein und Zigarrenrauch. Marianne schloss die Augen, ließ es zu und vergaß für diesen Moment alles um sich herum.
*
Am nächsten Morgen stand Milli, die Hände in die Hüften gestemmt, vor ihrem Karren und schüttelte den Kopf.
»Ich hätte wetten können, dass ich gestern noch drei Fässer Wein hatte, als ich zu Bett gegangen bin«, zeterte sie. »Strauchdiebe und Nichtsnutze sind sie alle! Wehe, wenn ich die erwische. Das ganze Geschäft machen sie mir kaputt.«
Marianne öffnete die Augen und blickte in den blauen Himmel. Einige Mücken tanzten über ihr, und die Sonne schien ihr ins Gesicht. Sie drehte sich grummelnd auf die Seite. Ihr Kopf dröhnte vom Wein, und ihre Lider waren schwer. Eine herumstreunende Katze kam näher. Sie schnurrte lautstark, tapste über Mariannes Körper und kitzelte sie mit ihren langen Barthaaren im Gesicht. Marianne sah in das pelzige Gesicht des Streuners.
Erschrocken setzte sie sich auf, und die Katze suchte fluchtartig das Weite. Marianne erinnerte sich an den Vorabend. Albert hatte sich irgendwann von ihr verabschiedet, Milli eine Decke um sie gelegt. Mehr wusste sie nicht mehr. Der Wein war ihr in den Kopf gestiegen.
Milli schimpfte noch immer. Nur ihr Tonfall war etwas leiser geworden, während sie aus ihrem unglaublichen Fundus an Krimskrams eine große Eisenpfanne zog und zur Feuerstelle ging.
»Das ganze Geschäft ist ruiniert, denn wer wird heute Abend zu mir kommen, wenn ich keinen Wein habe.« Sie schien Marianne nicht zu bemerken. Verwundert sah diese der Marketenderin dabei zu, wie sie das Feuer wieder entfachte.
»Was ist denn passiert?«, fragte sie.
Milli hob erstaunt den Kopf und schaute Marianne ungläubig an.
»Ach, du bist ja auch noch da. Was soll schon passiert sein?« Sie deutete zum Wagen. »Drei Fässer Wein sind mir gestohlen worden. Ich habe praktisch darauf geschlafen, und trotzdem sind sie weg. Ohne Wein keine Kundschaft, ohne Kundschaft kein Geld, so einfach ist
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