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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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der einzige Beistand, den sie mir je bot.
    Als mich Sam Frith Jahre später aus dieser U n glückshütte geholt hatte, hatten seine Hände beim Streicheln den Knoten an meiner rechten Schulter gefunden, wo die Knochen hinten am Nacken schief zusammengewachsen waren. Leider beging ich den Fehler, ihm zu berichten, wie mich mein betrunkener Vater in einem Tobsuchtsanfall gegen die Wand g e worfen hatte, als ich ungefähr sechs Jahre alt gew e sen war. Sam war in allen Dingen langsam, auch in seiner Wut. Anschließend hieß er mich, von allen anderen Prügelszenen zu erzählen. Und während ich das tat, spürte ich, wie er neben mir im Dunkeln lag und vor Zorn ganz steif wurde. Kaum hatte ich das letzte Wort gesagt, erhob er sich vom Lager, ohne sich die Mühe zu machen, seine Stiefel anzuziehen. Barfuß ging er zur Tür hinaus, die Stiefel baumelten in seinen Händen. Er war schnurstracks zu meinem Vater gegangen. »Schöne Grüße von einem Kind, das zu klein war, um es selbst zu tun«, sagte er und drosch meinem Vater mit seiner Riesenfaust so ins Gesicht, dass er mit einem Schlag flachlag.
    Aber inzwischen hatte ich keinen Sam mehr. Plötzlich spürte ich, wie mir etwas Heißes über die Schenkel schoss. Vor Angst hatte mich mein Körper verraten, genau wie damals als Kind. Zu Tode b e schämt sackte ich vor den Füßen meines Vaters z u sammen und bat ihn mit kläglicher Stimme um Ve r zeihung. Daraufhin lachte er. Ich war zutiefst ged e mütigt, und sein Stolz war damit gerettet. Der Druck seiner Hände ließ nach. Er rammte mir seine Stiefe l spitze in die Seite, aber nur so sehr, dass ich in meine eigene Brühe fiel. Ich zog meine Schürze aus und tunkte möglichst viel von der Pfütze auf. Dann stür z te ich aus dem Raum. Vor Scham vergaß ich, den Gastwirt nach seinem Pferdekarren zu fragen. Unter Tränen rannte ich zitternd nach Hause. Kaum hatte sich die Türe hinter mir geschlossen, riss ich mir j e des schmutzige Kleidungsstück vom Leib und b e gann, mich so h eftig abzuschrubben, dass die Haut an meinen Schenkeln knallrot wurde. Als der kleine Seth vor meiner Türe stand, um mich wieder zu Maggie zu holen, war ich noch immer in Tränen au f gelöst.
    Aber ein Blick genügte. Schon der Gedanke an i h re schlimme Situation trieb mir die Schamröte ins Gesicht und riss mich aus meinem Selbstmitleid. Maggie Cantwell würde morgen früh keinen Wagen brauchen. Während meines Aufenthalts in der Haue r taverne hatte sie einen zweiten Schlaganfall erlitten, der auch ihre gesunde Seite gelähmt hatte. Nun lag sie in einem tiefen, unnatürlich wirkenden Schlaf, aus dem sie kein Wort und keine Berührung wecken konnte. Ich ergriff ihre Hand, die so gänzlich ve r dreht und formlos auf der Decke lag, als ob man sie entbeint hätte. Ich streckte ihre Finger, die vom Teigkneten und vom Heben schwerer Pfannen kräftig waren und hie und da weiße alte Schnittnarben oder rosa Flecken von verheilten Brandwunden aufwi e sen. Wie damals am Bett von George Viccars und später dann bei Mem Gowdie gingen mir all die ve r schiedenen Fähigkeiten durch den Kopf, die sich in Maggie Cantwell angesammelt hatten. Diese massige Frau wusste, wie man eine Keule aus einer Rehhälfte hackt, aber auch, wie man aus feinstem gesponn e nem Zucker Leckereien zaubert. Sie war eine spa r same Köchin, die nicht einmal eine Erbse wegwarf, sondern sie im Suppentopf auskochte, um ihr auch noch die letzten Nährstoffe zu entziehen. Warum nur ging Gott mit seiner Schöpfung weitaus verschwe n derischer um? Warum bildete Er uns aus dem Lehm, auf dass wir gute und zweckdienliche Fähigkeiten erwerben, um uns dann so bald schon wieder zu Staub zu machen, obwohl noch nützliche Jahre vor uns lägen? Und warum sollte diese brave Frau hier in tiefster Not liegen, während ein Schurke wie mein Vater lebte und sich sinnlos um seinen Verstand trank?
    Diesmal blieben mir nicht viele Stunden, um über solche Fragen nachzugrübeln. Maggie Cantwell starb noch vor Mitternacht.

 
    Lethes Mohn
     
    Wie stürzen wir einen Hügel hinab? Ein Fuß tritt u n vorsichtigerweise auf einen lockeren Stein oder eine lose Grassode, wir verdrehen uns den Knöchel oder knicken ein, und urplötzlich geht’s dahin. Wir verli e ren die Kontrolle über unseren Körper und fi n den uns schließlich auf allen vieren ziemlich u n rühmlich drunten wieder. Dieser Vergleich scheint tatsächlich auch auf den Sündenfall zuzutreffen. Denn auch am Beginn der Sünde steht lediglich ein

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