Das Pesttuch
s te Mantelfutter für ‘nen nackten Mann, was?«
Ich schüttelte den Kopf und meinte, ich hätte noch im Pfarrhaus zu tun. Warum er nicht bei seiner A r beit war, mit der er bereits vier Monate im Rückstand lag, fragte ich nicht.
»Aaach, Himmelarsch, Mädel! Dein Vater lädt dich ein. Und deinem Faselpfaffen kannst gleich ein paar Weisheiten mitbringen. Sag ihm, heute hättste gelernt, dass in ‘nem Fass Bier mehr Gutes steckt als in allen vier Evangelien. Sag ihm, dass das Malz dem Menschen Gottes Wege besser erklärt als die Bibel! Jawoll, das sagste ihm. Sag ihm, du hättest auf den Knien deines Vaters ein paar Dinger gelernt!«
Keine Ahnung, warum mir der nächste Satz en t fuhr. Wie s chon gesagt, ich bin nicht prüde. Und selbst wenn, so hätte mich mein Leben mit meinem Vater eines Besseren belehren sollen, als ihn vor se i nen Freunden zu rügen. Aber ich hatte, wie erwähnt, den Kopf randvoll mit der Heiligen Schrift. In di e sem Moment schienen sich einige Zeilen aus den Epheserbrief en als Antwort auf diese Gottesläst e rung zu verselbstständigen . » › Lasset kein faul G e schwätz aus eurem Munde gehen, sondern was nüt z lich zur Besserung ist. ‹ « Das hatte ich schon vor vi e len Jahren auswendig gelernt, lange bevor ich wus s te, was mit »Besserung« gemeint war.
Auf seine Bemerkung hin waren die Männer um ihn herum in schallendes Gelächter ausgebrochen, aber nach meiner kalten Antwort wurde er zur Zie l scheibe ihres Lachens.
»He, Joss Bongt , dein Junges weiß aber, wo’s zwickt!«, sagte einer. Bei einem Blick auf die Miene meines Vaters hätte ich sie am liebsten alle zum Schweigen gebracht. Mein Vater ist, selbst im nüc h ternen Zustand, ein gewissenloser Schurke, aber mit Alkohol im Blut wird er gefährlich. Und kurz vor diesem Zustand waren wir jetzt, das konnte ich s e hen. Die Zornesröte stieg ihm ins Gesicht, sein Mund verzog sich zu einem Fletschen.
»Glaub ja nicht, du bist jetzt was Bess’res, du mit deinen eingebildeten Sätzen, nur weil dieser Priester und seine Angetraute so viel Tamtam um dich m a chen.« Bei diesen Worten packte er mich an den Schultern und zwang mich mit Gewalt vor ihm auf die Knie. Seine schmutzigen Finger hinterließen Drec k spuren auf meinem Kragen. Ich starrte die Ho se me i nes Vaters an. Mir fiel auf, dass sie unsauber roch.
»Siehste? Hab doch gesagt, du lernst’s noch auf meinen Knien. Und das wirste auch tun, verdammt noch mal, das sag ich dir. Holt mir mal ‘ne Schan d maske, dann stopf ich dieser Beißzange das Maul!«
Während die betrunkenen Männer lachten, stieg in mir Angst hoch. Ich sah das Gesicht meiner Mutter zwischen den Eisenstäben vor mir, den verzweifelten Ausdruck in ihren wirren Augen, die unmenschl i chen Geräusche, die aus ihrer Kehle drangen, als das Eisenteil hart gegen ihre Zunge drückte. Er hatte ihr die Schandmaske angelegt, nachdem sie ihn in aller Öffentlichkeit wegen seines dauernden Trinkens ve r flucht hatte. Eine Nacht und einen Tag hatte sie den Helm getragen. Unterdessen hatte mein Vater sie u n ter Schmähungen herumgeführt und dabei so fest an der Kette gerissen, dass ihr das Eisen die Zunge au f schlitzte. Der Anblick ihres Kopfes in diesem schrecklichen Käfig hatte mich, die ich damals noch ganz klein gewesen war, so zu Tode erschreckt, dass ich weggelaufen war und mich versteckt hatte. Als mein Vater anschließend bis zur Bewusstlosigkeit getrunken hatte, hatte irgendeine gute Seele den L e derriemen durchgeschnitten, mit dem dieses Unding an ihrem Kiefer hing. Inzwischen hatte sie eine ganz wunde Zunge, die so angeschwollen war, dass es T a ge dauerte, bis sie wieder reden konnte.
Schwer drückten die Hände meines Vaters auf meine Schultern. Irgendwie bildete ich mir ein, er habe sie mir um den Hals gelegt und würge mich. Mein Nacken versteifte sich. Am liebsten hätte ich mich übergeben. In meinem Mund sammelte sich ein Speichelklumpen, den ich ihm im ersten Impuls gern entgegengespuckt hätte. Aber da ich ihn gut genug kannte, konnte ich mir ausmalen, dass er mich b e wusstlos prügeln würde, wenn ich so etwas vor se i nen Zechkumpanen täte. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich mit Aphra nicht richtig warm werde: Bei ähnlichen Vorfällen in meiner Kindheit ist sie nur dabeigestanden und hat es geschehen la s sen, immer und immer wieder. Nur wenn er mich im Gesicht traf, wurde sie laut. »Wenn du sie da ve r letzt, werden wir sie nie verheiraten können.« Das war
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