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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Fehltritt, und plötzlich stürzen wir einem ungewissen Halt entg e gen. Nur eines ist bei diesem Absturz gewiss: Dru n ten werden wir besudelt und verschrammt anko m men und unseren ehemaligen Standort nur mit grö ß ter Mühe wieder erreichen können.
    Wie die meisten Knappen hatte auch Sam viele Unfälle vor dem einen, der ihn das Leben kostete. Einmal ließ er beim Erweitern einer Erzader einen großen Schwarzstein fallen, der ihm beinahe den Knöchel zerquetscht hätte. Mem Gowdie hatte den zersplitterten Knochen so kunstvoll wieder eing e richtet, dass er später zum Erstaunen aller, die den Bruch gesehen hatten, wieder ohne Hinken laufen konnte. Allerdings war das Einrichten mühsam g e wesen. Da sie dabei viele Knochensplitter bandagi e ren hatte müssen, hatte sie sich von Anys einen Mohnextrakt holen lassen, damit er ihr Abtasten be s ser ertrug. Damals erzählte sie mir, sie habe den von ihr verwendeten Mohn sechs Wochen in Grog ziehen lassen. Sam, der außer einem kleinen Schluck Bier nichts trank, würgte nur widerwillig die fünf Esslö f fel hinunter, die sie für nötig befand.
    Später meinte er, danach habe er so süß geträumt wie noch nie in seinem Leben.
    Kaum einen Tag, nachdem Elinor Mompellion und ich das Kind der Daniels entbunden hatten, reute mich schon mein Diebstahl. Ich nahm das gestohlene Fläschchen Mohn ins Pfarrhaus mit und wollte es irgendwie wieder in den Deckelkorb fallen lassen, ehe man sein Verschwinden bemerkte. Aber jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit ergab, versagte mein Wille. Schließlich brachte ich es wieder mit nach Hause und versteckte es schuldbewusst in einem Tontopf. Ich hatte weder sechs Wochen Zeit noch etwas Grog für einen Aufguss. Stattdessen starrte ich in der Nacht, als Maggie Cantwell starb, die kleine gelbbraune Harzscheibe an und überlegte, welche Dosis wohl nötig wäre, um ein paar süße Träume zu gewähren. Ich zwickte ein klebriges Bröckchen d a von ab und steckte es mir in den Mund. Es war zum Würgen bitter. Schließlich halbierte ich die Scheibe, formte das Stück zu einer Pastille, umhüllte sie gän z lich mit Honig und spülte alles mit einem Schluck Bier hinunter. Dann schürte ich das Feuer und starrte in seinen schwachen Lichtstreifen.
    Die Zeit verwandelte sich in ein Seil, das sich tr ä ge zu einer Spirale aufdröselte. Der eine Strang ve r breitete sich zu einer schwungvollen Kurve, auf der ich mich so leicht wie ein Blatt im Windhauch dahi n treiben lassen konnte. Der Zephir, der mich trug, war mild und warm, sogar als ich auf seinen Schwingen hoch über den White Peak aufstieg, wo ich die graue Wolkendecke durchstieß und an einem Ort herau s kam, wo die Sonne so blendete, dass ich die Augen schließen musste. Irgendwo heulte eine Eule. Immer länger schien der Ton zu werden. Er dehnte sich zu einem endlos vollen Klang, wie das Horrido eines Jagdhorns, aus dem zwanzig Hörner wurden, die alle gleichzeitig in schönster Harmonie ertönten. Die Sonne brach sich glitzernd in den aufgereihten I n strumenten.
    Und dann konnte ich die Noten sehen, die wie goldene Regentropfen herunterfielen. Wo sie den Boden berührten, zerstoben sie nicht, sondern sa m melten sich und stiegen wieder übereinander empor. Wände erhoben sich und himmelhohe Bogen, for m ten sich zu einer schimmernden Stadt aus Fabeltü r men, von denen der eine aus dem nächsten wuchs, wie Knospen, die sich aus tausenderlei Stängeln en t falteten. Ganz weiß und golden war diese Stadt, die sich in einem breiten Bogen an einem saphirblauen Meer hinzog. Beim Hinunterschauen sah ich mich selbst mit geblähtem Umhang durch das Straßenlab y rinth wandern. Auch meine Kinder, glückliche kleine Gestalten, die links und rechts von mir herumtollten, trugen Umhänge und klammerten sich an meine Hände. Von den hohen weißen Mauern strahlte gl ü hend die Sonne und pochte und dröhnte wie ein Gl o ckenklöppel.
    Das langsame Geläut unserer Kirchenglocke weckte mich. Wieder einmal galt es den Toten. Ein blasser wintriger Lichtfinger schien mir durch ein frostbeschlagenes Fenster direkt ins Gesicht, das sich gegen den rauen Steinfußboden presste. Die ganze Nacht war ich an der Stelle gelegen, wo ich vom H o cker gerutscht war. Von der Kälte tat mir jeder Kn o chen weh. Ich war so steif, dass ich mich kaum au f richten konnte. Mein Mund war staubtrocken und fühlte sich an, als hätte ich einen Gallapfel gelutscht. Ich kroch herum, stocherte das Feuer wieder an und wärmte mir mit

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