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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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mehr, als seine Kräfte eigentlich e r laubten. Bis ich wieder zurück war und er die Brühe in kleinen Schlucken getrunken hatte, gab es doch noch zwei Leichen für seinen Karren.
    Ich lauschte seinen Schritten nach und richtete mich auf eine trostlose Nacht ein, die eigentlich nur eine Totenwache war. Das Kleinkind klammerte sich an den letzten Lebensfunken. Sally warf sich in i h rem Fieber unruhig herum und nieste. Am Abend tauchte Mistress Mompellion unter der Türe auf. Ihr Gesicht war so blass, dass es durchsichtig wie eine frostbeschlagene Fensterscheibe wirkte. »Anna«, meinte sie, »ich komme gerade vom Hancock-Hof. Dort ist heute Nacht ein Totenhaus. Swithin, der jüngste Sohn, ist tot, und Lib liegt schwer krank da r nieder. Anna, ich weiß, dass sie dir einmal sehr lieb gewesen sind. Wenn du möchtest, bleibe ich hier, während du zu ihr gehst.«
    Wegen geringerer Gründe wäre ich weder den Kindern von der Seite gewichen, noch hätte ich Mistress Mompellion zusätzlich belastet. Aber die Kluft zwischen Lib und mir glich einer offenen Wunde, die ich so gerne heilen wollte. Doch bis ich mich mühsam zum Hancock-Hof geschleppt hatte, war meine alte Freundin bereits zu schwach zum Sprechen. Ich saß bei ihr und streichelte ihr Gesicht und wollte sie zum Aufwachen zwingen, damit ich wenigstens ein Wort sagen könnte, um den Bruch zwischen uns zu heilen, aber nicht einmal diese kle i ne Erleichterung wurde mir gewährt. Damit häufte auch dieses stumme Abschiednehmen von meiner ältesten Freundin neuen Kummer auf jenen Berg von Trauer, den ich bereits mit mir heru m schleppte.
    Als ich endlich zurückkam, um Mistress Mompe l lion in der Maston-Kate abzulösen, war es schon sehr spät. Und doch kam ich gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf fing es zu schneien an. Vermutlich hatte sie es um Haaresbreite zum Pfarrhaus zurüc k geschafft. Es war ein wilder Schneesturm, einer von jener Sorte, die heftig gegen die Kate anstürmen. Ich schürte das Feuer an und deckte die Kinder mit j e dem Stück Stoff zu, das ich finden konnte. Solche Stürme waren in den meisten Wintern gefürchtet, denn dann mussten wir tatenlos zusehen und abwa r ten, wie viel Schnee fallen und wie hoch unsere schmalen Gassen verweht würden. Und immer diese Unsicherheit, ob der Schnee unsere Straßen a b schneiden würde. Jetzt aber konnten die weißen Wä l le so hoch wachsen, wie sie nur wollten.
    Dieser Sturm hatte sich jedoch rasch ausgetobt. Schon kurz nach Mitternacht schlief der Wind ein. In der darauf folgenden tiefen Stille starb das Baby. Klein Sally hielt noch bis zum folgenden Nachmittag durch, starb aber im frühen Dämmerlicht des kalten Schneeschimmers. Nachdem ich ihren schmalen Körper in sauberes Leinen gewickelt hatte, ließ ich sie allein liegen, bis John Millstone Zeit fände, sie zu holen. »Tut mir Leid, Kleine«, flüsterte ich, »eigen t lich sollte ich heute Nacht bei dir sitzen. Aber ich muss meine Kraft für die Lebenden sparen.«
    Und so mühte ich mich bei sinkender Nacht nach Hause. Beim Schafpferch blieb ich nur so lange st e hen, um meiner Herde etwas Heu hinzuwerfen. Ich selbst machte mir nicht die Mühe zu essen, sondern schüttete stattdessen kochendes Wasser über das res t liche Mohnharz, rührte eine halbe Tasse Heidehonig hinein, um den bitteren Geschmack zu überdecken, und nahm den Becher mit in mein Bett hinauf. In j e ner Nacht atmeten die Berge in meinen Träumen wie schlummernde Bestien, und der Wind warf tiefblaue Schatten. Ein geflügeltes Pferd flog mich durch einen schwarzen Samthimmel, über s chimmernde Wüsten aus goldenem Glas, durch Unmengen von Ster n schnuppen.
    Wieder erwachte ich am Morgen herrlich ausg e ruht. Doch die vom Mohn verursachte Heiterkeit hielt nicht lange an. Diesmal war es kein Schrecken von draußen, sondern eine Erkenntnis, die mich traf, während ich noch warm in meinem Bett lag: Von nun an hatte ich keine Möglichkeit mehr, mir ein so l ches Vergessen zu sichern. Während ich so dalag und zu meiner Balkendecke hinaufstarrte, fiel mir mein letzter Besuch bei den Gowdies ein. Wie die getrockneten Kräuterbündel das honiggoldene Haar von Anys gestreift hatten. Da mussten doch gewiss auch Mohnkapseln zwischen der Orangenwurz und der Klettenwurzel gehangen haben? Vielleicht gab es sogar schon sorgfältig zubereitete Tinkturen oben in den Regalen? Oder solche Fläschchen mit Harz, wie ich eines von Mistress Mompellion gestohlen hatte? Ich beschloss, auf der Stelle

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