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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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hatte ich das Leder aus seinem zerquetschten Körper ziehen müssen.
    Elinor war so schlank, dass sie Hose und Wams des älteren Wickford-Sohnes tragen konnte. Hoffen t lich war beides noch nicht mit Pestsaat infiziert, fuhr es mir durch den Kopf. George Wickford war ein schmaler Mann gewesen, den die Armut schlank gehalten hatte. Ich nahm seine Lederhose. Um sie passend zu machen, schnitt ich mit einer scharfen Wollschere von den Beinen ein Drittel ab. Dann bohrte ich am Bund ein paar Löcher hinein und zog eine Schnur hindurch, damit die Hose auch hielt. Das Wams schlotterte mir um die Schultern, aber das war mir egal. Dann nahmen wir noch die Lederhüte mit breiter Krempe für die brennenden Unschlittkerzen, die uns den Weg durchs Dunkel erleuchten und gleichzeitig unsere Hände zum Arbeiten freihalten würden.
    Als Elinor ihre Knappenkluft anhatte, schaute ich sie an und wunderte mich erneut über die seltsamen Entwicklungen, die uns dieses Jahr brachte. A n scheinend hatte sie meine Gedanken erraten und lachte über sich selbst. »Was würden wohl all die Ahnen, die mich als Mädchen aus ihren Porträts a n gestarrt haben – diese feinen Damen in Seidenkle i dern und die Herren mit den vielen Schleifen –, zu ihrer Nachfahrin sagen, wenn sie mich jetzt sehen könnten?« Dass ich ziemlich gut wusste, was mein Sam sagen würde, verriet ich ihr nicht. Gelacht hätte er sicher nicht.
    Aber hier gab es ja nur Merry Wickford. Wenig s tens machten wir auf sie keinen absurden Eindruck. Ihr kleines Gesicht strahlte. In ihren Augen waren wir ihre einzige Hoffnung. So brachen wir zum Mundloch auf. Merry ging voran. Beim Gedanken an den vor uns liegenden Tag fühlten sich meine Füße bei jedem Schritt bleiern an. Schon jetzt atmete ich schwer. Die Angst vor einem Aufenthalt an einem Ort ohne Luft brachte mich zum Keuchen, als wäre ich bereits drunten in der Grube.
    Wickford hatte seinen Schacht gut gebaut. Die hiesigen Leute mochten ja auf die Quäker wegen i h res seltsamen Glaubens herabschauen, aber eines mussten alle zugeben: dass sie in jeder Hinsicht u m sichtige Handwerker waren. Wickford hatte die Wände mit großen grauen Kalksteinplatten verkeilt und kräftige Äste für stabile Sprossen gehauen. Trotzdem lief, wie i n den meisten Gruben, auch an diesem Schacht die Feuchtigkeit herunter. Überall keimten Moose und Farne. Ich konnte nicht sehen, wie weit es in die Tiefe ging, bis die röhrenförmige Ader vom Schacht abzweigte. Eines jedoch wusste ich: Je länger ich zauderte, umso schwerer würde mir das Weitermachen fallen. Deshalb schwang ich mich über den Rand und tastete nach der ersten Sprosse.
    Wie sich herausstellte, war der Schacht an die sechs Faden tief und knickte dann waagrecht zum Mundloch ab. Klugerweise hatte Wickford einen gut achtzehn Fuß langen Steigerschacht getrieben, bevor der Schacht erneut nach unten führte. Dadurch kon n te man den Kübel mit dem Haufwerk leichter in Ei n zelabschnitten ans Tageslicht befördern. Aber kaum war das Mundloch verschwunden, war es so vol l ständig dunkel, dass ich stehen blieb und meine Ke r ze anzündete. Um die Kerze zu fixieren, tropfte ich für eine Unterlage Unschlitt auf meine Hutkrempe. Im zitternden Lichtschein schob ich mich zollweise vorwärts und weiter hinunter. Merry hatte gesagt, am Grunde dieses zweiten Schachtes würde ich den Höhleneingang finden, und so war es. Im unruhigen Licht meiner Kerze konnte ich sehen, wo Wickford den Fels weggehauen hatte, um den Zugang zu e r weitern. Mühelos zwängte ich mich hinein. Der schlammverschmierte, glitschige Boden fiel steil ab. Sofort verlor ich mein Gleichgewicht und landete unsanft auf dem Boden. Beim Versuch, den Sturz abzumildern, schürfte ich mir die Handfläche auf. Obwohl es nur wenige Schritte bis zum Schacht w a ren, regte sich in der abgestandenen Luft kein Hauch. Wie ich so im Matsch saß, spürte ich Panik aufste i gen. Trotz der Kälte brach mir der Angstschweiß aus. Ich schnappte heftig nach Luft. Vergeblich. Aber nun war Elinor hinter mir. Ich spürte, wie mir ihre Hand auf - und voranhalf.
    »Alles ist gut, Anna«, flüsterte sie. »Du kannst atmen. Hier g ibt es Luft. Du darfst dich nicht von deinen Ängsten beherrschen lassen.« Während ich mich mühsam hochrappelte, spürte ich, wie sich Dunkelheit um mich legte. Aus Angst vor einem Ohnmachtsanfall setzte ich mich wieder hin. Elinor redete weiter freundlich, aber entschlossen auf mich ein und befahl mir, meinen Atemrhythmus

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