Das Pesttuch
die Frühstücksreste von heute Mo r gen: einen irdenen Schmalztopf – schmale Fing e rabdrücke auf seiner glatten weißen Oberfläche ve r rieten, dass sie es mit den Händen gegessen hatte –, dazu Eierschalen, deren Inhalt sie roh ausgesaugt hatte, und eine Zwiebel, die sie wie einen Apfel a n gebissen hatte. Nicht sehr fein, mag sein, aber nah r haft.
Als wir die winzige Hütte mit dem gestampften Boden betraten, beeilte sie sich, den Tisch abzurä u men, und bat uns höflich, Platz zu nehmen. Ich b e wunderte ihre Selbstbeherrschung und hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich mich nicht besser b e müht hatte, ihre Eltern kennen zu lernen. Es müssen brave Leute gewesen sein, die ihrem Kind solche Manieren beigebracht hatten.
Elinors Gedanken waren wohl ähnlich. »Deine Mutter wäre sehr stolz auf dich, Merry, wenn sie s ä he, wie tapfer und gut du hier zurechtkommst.«
»Glauben Sie?«, sagte sie. Ihre dunklen Augen blickten e rnst. »Ich danke Ihnen für diese Worte. Ich spüre, dass Mutter immer noch auf mich aufpasst, genau wie Vater und meine Brüder. Der Glaube da r an tröstet mich und lasst mich mein Leben hier w e niger einsam empfinden. Ich danke Ihnen beiden, dass sie am heutigen Tag an einen Besuch bei mir gedacht haben. Es ist schwer für mich, den Verlust meiner Familiengrube allein mit ansehen zu mü s sen.«
»Wenn es nach uns geht, wirst du nichts dergle i chen mit ansehen müssen«, platzte ich heraus. Plöt z lich war ich froh, dass mich Elinor zu dieser Tat überredet hatte.
»Wenigstens«, fügte Elinor hinzu, »hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.«
Merrys Dankbarkeit verwandelte sich in helle Freude, als wir erklärten, wir seien nicht nur auf e i nen Besuch gekommen, sondern wollten versuchen, ihre Grube zu retten. Das Mädchen bestand darauf mitzukommen und seinen Teil dazu beizutragen. »Merry, du kannst uns genauso helfen wie deinen Eltern«, sagte ich. »Du wirst alle Hände voll zu tun haben, das Haufwerk in Erzbrocken und taubes G e stein zu sortieren und das Erz im Waschtrog vom Schwarzstein zu trennen. Wir verlassen uns darauf, dass du uns drunten benachrichtigst, wenn wir einen Zentner voll haben. Aber denk daran, ein ordentl i cher Zentner muss es sein, denn David Burton sieht sich schon als Besitzer des »Brennenden Drachens« und wird vom Bergmeister ein ganz genaues Maß verla n gen.« Merry nickte. Sie kannte die Ausmaße der gr o ßen Waagschale des Bergmeisters nur allzu gut.
Trotzdem wirkte das Kind besorgt und beteuerte, es sei schon früher drunten in der Grube gewesen und möchte uns führen. Elinor schien fast schon z u stimmen zu wollen, aber ich nahm sie rasch beiseite und flüsterte: »Mit den Eltern drunten im Dunkeln zu sein, die jeden Stein der Grube kannten und täglich geschürft hatten, ist etwas ganz anderes als mit zwei Leuten unseres Schlages, die von Hauen und Schr ä men kaum Ahnung hatten. Elinor, ich möchte diesem Kind helfen, nicht es begraben!« Elinor war einve r standen und machte dem Kind klar, dass wir es oben brauchten, falls etwas schief laufen sollte und wir bis zum Nachmittag nicht wieder auftauchten. Dann und nur dann, mahnte Elinor, solle sie stracks ins Pfar r haus rennen und Mister Mompellion unser Vorhaben erzählen.
Nach Sams Tod hatte ich sein Werkzeug in einen öligen Fetzen gewickelt und verräumt. Eines Tages wollte ich es einem bedürftigen Knappen schenken. Mit schlechtem Gewissen wurde mir nun klar, dass genau die Wickfords so ein Geschenk verdient hä t ten. Aber als sie damals ihre Ader gefunden hatten, war ich so sehr mit meinen eigenen Problemen b e schäftigt gewesen, dass ich Sams unbenutztes Gez ä he und meine Pläne dafür restlos vergessen hatte. Beim Auspacken spürte ich, wie schwer es mir in den Händen lag. Beim Gedanken an Sams große, zerschundene Fäuste und seine dicken Armmuskeln kamen mir Bedenken, wie ich es schwingen sollte. Unter allen Werkzeugen wählte ich die drei aus, die für den Bleihauer unentbehrlich sind: Keilhaue, Schlägel und Eisen.
Merrys Familie hatte aus Sparsamkeit ein anderes Werkzeug verwendet: ein gebogenes Metallstück, das an einem Ende durch einen Hammer im Gleic h gewicht gehalten wurde und wahlweise als Picke oder als Vorschlaghammer eingesetzt wurde. Damit würde Elinor arbeiten, da dieses Werkzeug leichter, aber weniger wirkungsvoll war. Leider hatte ich w e der Sams alte Hose noch sein Lederwams. Beide w a ren bei seinem Unfall zerstört worden. Fetzenweise
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