Das Pesttuch
dem Feuerstein und dem Zunder zitterten. In meiner Kehle stieg ein Schluchzen auf.
Lieber sterbe ich an den giftigen Pestflecken, dachte ich, als hier unten mein Leben auszuhauchen, lebendig im Dunkeln b egraben. Aber dann flammte das Feuer auf, und es war nicht mehr dunkel. Die Hülse begann zu brennen. Der Saft zischte. Dann der erste Knall. Ein Fels zerbarst unter dem wachsenden Druck. Warten war schwer, so schwer, während Rauch die Luft füllte. Ich hielt mir einen nassen Lumpen vor den Mund, kauerte mich zitternd hin und wartete und wartete. Mit aller Gewalt zwang ich mich, den nächsten Schritt nicht übereilt zu tun. Schließlich hatten wir nur eine einzige Chance. Für einen erneuten Versuch war die Zeit zu kurz. Wenn der Fels nicht genügend heiß war, wäre die ganze Mühe vergebens und unsere Tagesarbeit für immer verloren. Als ich schließlich glaubte, meine Brust würde vom Einatmen verbrannter Luft zerspringen, griff ich blindlings nach dem Eimer und schüttete in hohem Bogen Eiswasser neben den heißen Fels. Es zischte und dampfte, dann klang es, als würde ein Dutzend Musketen abgefeuert. Schichtweise fiel Blei herunter.
Blind vor Rauch versuchte ich, mich in Sicherheit zu bringen. Ich hustete so, dass ich dachte, es würde mir die Kehle zerreißen. Ein scharfer Splitter traf mich an der Schulter, dann landete ein schwererer Brocken direkt im Kreuz. Ich wand mich darunter hervor, indem ich mich auf die Unterarme stützte, die sich vom morgendlichen Hauen wie Pudding anfüh l ten.
»Aufhören!«, betete ich. »O bitte, aufhören, jetzt!« Aber das Knallen hörte nicht auf, sondern ging we i ter und immer weiter, und jedem Knall folgte ein neuer Steinregen. Ich schlug mit den Armen wild um mich, meine Finger tasteten über den harten Stein. Aber die Last wurde immer schwerer und schwerer, bis ich mich schließlich nicht mehr bewegen konnte.
Und so, dachte ich, endet hier doch noch alles. Tot, im Dunkeln, wie Sam. Über mir türmten sich immer mehr Platten. Ich spürte, wie der ganze schwere Abhang in Bewegung geriet, als Stein gegen Stein rutschte, und wie sich die Erde in jede neue Öffnung ergoss. Wie ein widerlicher Kuss presste sich nasser Schlamm in meinen Mund. Ich hörte den Pulsschlag in meinen Ohren. Das dröhnte und hä m merte, immer lauter. Schließlich zerbarst der Fels.
Doch dann geschah etwas Merkwürdiges. Die P a nik wich von mir. In meinem Inneren stiegen Bilder meiner Buben auf. Mittlerweile fiel es mir schwer, mich an die genauen Einzelheiten ihrer Gesichter zu erinnern: Jamies Locken, die ihm in die Stirn hingen; Toms süße Stirn, die er beim Trinken immer ganz ernst runzelte. Jetzt standen sie mir ganz lebendig vor Augen. Ich hörte auf, um Freiraum zu kämpfen, und atmete die angehaltene Luft aus. Inzwischen gab es nichts mehr zum Einatmen. Ich barg meine Wange im Fels, der mir Grabhügel und Grabstein sein wü r de.
Alles wird gut, endlich. Dieses Ende kann ich e r tragen. Das Bild meiner Buben bekam einen dunklen Rand. Ich zwang es zurück. Noch nicht. Noch nicht. Lass sie mich noch ein paar Augenblicke sehen. Aber das Dunkel drang nach innen, und ihre stra h lenden Gesichter wurden matt. Mit dem Dunkel kam gnädige Stille. Plötzlich war es vorbei, mit dem Pul s schlag und mit dem Urgebrüll des Felsens.
Wahrscheinlich wäre ich tot, und keiner könnte d a von berichten, wenn Elinor meinen Anweisungen gefolgt und wie befohlen den Schacht hinaufgekle t tert wäre. Und vielleicht wäre ich auch tot, wenn Merry uns beiden gehorcht hätte. Aber Elinor hatte sich knapp hundert Meter von der Stelle, wo ich das Feuer entzündete, hinter eine Steinsäule gekauert, und Merry war bis knapp hinter dem Schacht zur Höhle heruntergeklettert. Als sie den großen Bruch hörten, waren beide herbeigestürzt, um mich zu re t ten. Als ich wieder zu Bewusstsein kam, war ich zwar noch immer bis zum Hals begraben, aber w e nigstens hatten sie mein Gesicht freigescharrt.
Die Stille, die mich überwältigt hatte, als ich das Bewusstsein verlor, war echt gewesen. Das Donnern hatte aufgehört und damit auch der Gesteinsregen. Letztlich hatte ich doch nicht den ganzen Abhang über mich hereinstürzen lassen. Als sich der Rauch allmählich verzog, konnten wir tatsächlich sehen, was ich bewerkstelligt hatte: Es war mir gelungen, einen Berg regelmäßiger glänzender Bleibrocken zu lösen, die Merry Wickford heute ihren Zentner s i chern würden und wenn nötig noch viele weitere T a ge.
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