Das Pestzeichen
lange bei ihr bleiben würde.
Urs wandte sich Susanna wieder zu und sagte mit gleichgültiger Miene: »Lass uns weitergehen.«
»In welche Richtung?«, fragte sie und stand auf.
Er blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren, und sagte: »Wir müssen uns links halten.«
»Wie willst du das wissen?«
»Weil das hübsche Mädchen im Wirtshaus uns diese Richtung gewiesen hat«, erklärte er.
Susanna presste ihre Lippen aufeinander, sodass sie sich zu einem dünnen Strich verengten. Sie verkniff sich eine Antwort und stapfte an ihm vorbei ins Gehölz.
Urs konnte sich ein Lachen nur mühsam verkneifen. Sie mag mich , jubelte er und folgte Susanna.
Die beiden Männer sattelten die Pferde aus der Saline. Das Schlachtross wollten sie am Strick mitführen. »Es ist stark genug, um das Geld und das Gold zu tragen«, frohlockte Markus und legte seinem Ross den Führstrick um.
Der Bauer stand da, den Arm um seinen Enkel gelegt, und wartete darauf, dass die beiden finsteren Gestalten verschwanden.
Als Jeremias aufsaß, sagte er zu dem Alten: »Auf dem Weg zum Wirtshaus habe ich auf allen Eingangstüren in Gersweiler ein rotes Zeichen erkennen können. Was hat das zu bedeuten?«
Der Bauer zuckte mit den Schultern. »Nichts. Es sind Kinderschmierereien!«, antwortete er.
»Den Bälgern würde ich den Arsch verschlagen, dass sie drei Tage nicht sitzen können«, schimpfte Markus.
»Da wären wir ausnahmsweise einer Meinung«, lachte Jeremias und ritt ohne ein weiteres Wort von der Koppel. Kaum hatte er den Weg erreicht, galoppierte er los. Markus tat es ihm nach.
Als sie nicht mehr zu sehen waren, schnaufte der Bauer laut aus. Sein Enkel blickte ihn an und fragte: »Warum hast du ihnen nicht die Wahrheit über die spiegelverkehrte Vier erzählt, Großvater?«
»Das geht sie nichts an«, antwortete der Alte.
»Und warum hast du ihnen nicht verraten, dass in der Aschbacher Kirche die Pestkranken lebten und deshalb niemand dort hingeht?«
»Das, mein Kind, werden sie früh genug selbst herausfinden«, sagte er mit einem listigen Grinsen im Gesicht. Zufrieden mit sich selbst, legte der Bauer seinem Enkel die Hand auf den Scheitel und ging mit ihm zu seiner Kate.
Susanna konnte Urs kaum folgen. Der Berg schien mit jedem Schritt steiler zu werden. »Wo bleibst du?«, rief er, da sie weit hinter ihm herschlich.
»Du springst wie ein Reh den Berg hinauf.«
»Wenn schon, dann wie ein Rehbock«, lachte er. Er wartete, bis Susanna ihn eingeholt hatte.
»Können wir einen Augenblick rasten?«, fragte sie und setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm, ohne seine Antwort abzuwarten. Erschöpft wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Sie hob ihre langen Haare an und strich sich die Haut darunter trocken. »Was würde ich darum geben, in einem erfrischenden Teich zu baden«, seufzte sie und roch an sich. »Auch müsste ich dringend meine Kleidung waschen.«
»Ja, das würde mir auch gefallen. Vielleicht haben wir Glück und kommen an einem Teich vorbei. Ich bin froh, dass wir wenigstens ein ausgiebiges Frühmahl hatten. Hier scheint es außer Bäumen nichts zu geben.«
»Wie kommt es, dass dich der steile Weg nicht anstrengt?«
»Wir Schweizer sind Bergmenschen und müssen tagaus, tagein steile Wege gehen. Außerdem bin ich ein Mann«, versicherte er ihr.
»Pah! Mein Bruder Johann war auch ein Mann, aber er hätte ebenso geschnauft wie ich.«
Urs bemerkte ihren traurigen Gesichtsausdruck, als sie von ihrem Bruder sprach. Um sie abzulenken, setzte er sich zu ihr und erzählte: »Ich habe dir berichtet, dass ich aus der Schweiz komme.« Sie nickte, und er erzählte weiter: »Wir lebten im Kanton Uri.«
»Kanton?«, fragte sie.
»Die Kantone sind kleine Staaten, die zusammen unser Land bilden. Uri ist einer der ältesten Kantone und liegt inmitten der Schweiz. Unser Land ist geprägt von hohen Bergen, auf deren Gipfel selbst im Sommer Schnee liegt. Die Hänge sind für unsere Kühe gutes Weideland, aber der Sommer ist kurz. Und die Winter sind hart, ebenso wie unser Leben in den Bergen. Es ist karg und einsam, denn die Gehöfte der Bauern liegen weit verstreut auseinander. Mein Vater will für uns ein besseres Leben. Deshalb werden wir künftig in der Stadt Trier leben, in der es alles gibt und wo wir nichts entbehren müssen.«
»Wirst du dort als Heiler arbeiten?«
Urs schüttelte den Kopf, und sein Blick wurde starr.
»Mein Vater will, dass ich die Familientradition weiterführe und Soldat
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