Das Pestzeichen
aufgehängt. Bei der dritten Hinrichtung glaubte Urs das Knacken von Knochen zu hören.
Als alle drei Verurteilten am Henkersbaum hingen, reckten die Menschen in der Menge ihre rechten Fäuste in die Höhe und riefen im Chor: »Gottes Wille!« Dann wandten sie sich um und verließen langsam die Hinrichtungsstätte.
Urs starrte auf die Gehängten, als ihn jemand am Arm fasste. »Komm, Sohn, wir wollen weiter.«
Der Junge sah auf und blickte in das Gesicht seines Vaters.
Kapitel 11
Eckart Schiffer hörte das Prasseln des Regens, blickte aus dem Fenster und murmelte erleichtert: »Zum Glück sind Hitze und Trockenheit vorbei.« Seine schlechte Laune war wie weggefegt, und er blickte auf seine beiden Kinder. Während Marie ihrer Mutter half, schürte Peter den Herd ein. Schiffer nahm vergnügt Umhang und Hut vom Haken und sagte zu seinem Sohn: »Nimm deinen Mantel, du darfst mich heute begleiten. Es wird Zeit, dass ich dir einiges erkläre.«
Als er die Tür öffnen wollte, fragte seine Frau Sophie: »Wo gehst du mit dem Jungen hin?«
»Hoch zum Sulzer Knopfe.«
»Aber es nieselt!«
»Ich weiß«, war seine knappe Antwort.
»Peter wird sich erkälten«, fürchtete sie.
»Deshalb soll er seinen Umhang anziehen.«
Sophie wusste, dass es zwecklos war, mit ihrem Mann zu streiten. An der Eingangstür zog sie ihrem Sohn die Mütze tief ins Gesicht, der sie mit glänzenden Augen ansah. Nachdenklich blickte sie Peter hinterher, als er eilig seinem Vater folgte, der mit zügigen Schritten durchs Tor stapfte.
Von der Erhöhung, die Sulzer Knopfe genannt wurde, konnte man bei gutem Wetter die Salinenanlage einsehen. Heute trübte der inzwischen starke Regen den Blick, sodass Schiffer seinem Sohn die Richtung wies.
Peter legte seine Hand vor die Stirn, um besser sehen zu können. »Da steigt Rauch auf«, stellte er fest und zeigte mit dem Finger nach vorn.
Der Vater nickte. »Der Qualm kommt aus dem Kamin des Sudhauses«, erklärte er. »Dort steht über einem Feuer eine riesige Salzpfanne, in der das salzhaltige Wasser verdampft wird, sodass nur das Salz zurückbleibt.«
Peter fröstelte, denn trotz des dicht gewobenen Mantels spürte er die Kühle des Regens auf seiner Haut. »Aber woher kommt das Salzwasser?«, fragte er zitternd.
Schiffer fuhr seinem Sohn wohlwollend über die nasse Mütze. »Das ist eine sehr gute Frage, mein Junge«, lobte er ihn und ging einige Schritte weiter hinauf. Dort bückte er sich tief, wobei er den Kopf seitlich neigte, damit sein Ohr sich dem Boden näherte. Peter tat es ihm nach und glaubte in der Erde ein schwaches Rauschen zu vernehmen. Fragend blickte er hoch, und der Vater erklärte: »Das Regenwasser sickert hier in Erdschichten, in denen Salz vorhanden ist, und löst es. Dadurch wird salzhaltiges Wasser in den Sulzbach gespült, und wir können es von dort in die Salinen weiterleiten und das Salz vom Wasser trennen. Die Sole, wie das salzhaltige Wasser genannt wird, kann aber ebenso in wasserundurchlässigen Erdschichten fließen, wo sie entweder stehen bleibt oder nur sehr langsam abfließt. Diese schwachen Rinnsale reichen nicht aus, um genügend Salz zu gewinnen. Dann habe ich Probleme, die Pacht zu zahlen, denn bedenke, dass der Graf von Nassau-Saarbrücken jeden sechsten Zentner Salz als Mietzins für die Nutzung seines Lands verlangt.«
Peters Augen weiteten sich erstaunt. Er hatte zwar keine Vorstellung, wie viel Salz das sein könnte, doch es musste eine gewaltige Menge sein, wenn der Graf es für sich forderte.
»Deshalb haben wir unten in der Saline drei Brunnen gegraben, die tief in die Erde reichen. Durch die Brunnenwände sickert das Wasser aus den Solequellen und füllt die Brunnen wie große Sammelbehälter.«
»Und du musst das Wasser in diesen Brunnen nur noch verdampfen lassen, damit du das Salz abschöpfen lassen kannst«, schlussfolgerte Peter und strahlte seinen Vater durch den Regen an.
Nie zuvor hatte Schiffer mit seinem Sohn über seine Arbeit gesprochen. Der Junge war jetzt neun Jahre alt und sollte wissen, wie der Ablauf der Salzgewinnung war. Auch wenn das Überleben der Saline zurzeit bedroht war, so wollte Schiffer mit dem Grafen von Nassau-Saarbrücken einen Erbpachtvertrag aushandeln. Nur so, glaubte er, würde sein Sohn eines Tages seine Arbeit fortsetzen können. Wenn wir erst den Schatz gehoben haben, kann uns nichts mehr geschehen , dachte Schiffer. Dann habe ich genug Geld, um die Salzwerke auszubauen, sodass wir die lothringischen
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