Das Pestzeichen
versuchte, trotz des Knebels Töne von sich zu geben. Als nichts geschah, gab er ermattet auf, zumal sein Kopf schmerzte. Jeremias drehte sich auf den Rücken und blickte mit dem unverletzten Auge in den Nachthimmel. Verflucht , schimpfte er. Mein Ende habe ich mir anders vorgestellt.
Jeremias war gerade eingeschlafen, als ein seltsames Geräusch an sein Ohr drang. Erschrocken riss er die Augen auf und drehte seinen Kopf nach rechts und nach links. Plötzlich blickte er in Markus’ Gesicht.
Obwohl Jeremias wusste, dass Markus ihn wegen des Lappens im Mund nicht verstehen würde, versuchte er, ihm mit Lauten klarzumachen, dass sie sich Rücken an Rücken legen mussten. Der Bursche schien zu begreifen, und beide drehten sich auf die Seite, sodass ihre Finger sich berühren konnten. Markus tastete nach dem Strick, der um Jeremias’ Handgelenk gebunden war, bis er den Knoten fühlte. Dann versuchte er ihn zu öffnen. Von der Anstrengung sammelten sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Auch plagte ihn unbändiger Durst. Es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang, den Knoten zu öffnen.
Als Jeremias anschließend Markus’ Fessel löste, riss dieser sich den Knebel aus dem Mund, spuckte und würgte. »Ich bringe ihn um! Ich bringe ihn um!«, schrie er in die Dunkelheit.
»Es nützt niemandem, wenn du wie ein Wahnsinniger durch die Gegend brüllst. Halt dein Maul, bevor jemand auf uns aufmerksam wird.«
Jeremias blickte sich um, doch in der Dunkelheit konnte er nichts erkennen. »Wir müssen warten, bis der Morgen graut, sonst laufen wir Gefahr, uns den Hals zu brechen«, sagte er und legte sich auf den Boden. Er kugelte sich zusammen und schloss die Augen.
Markus, der mürrisch dastand, musste einsehen, dass Jeremias recht hatte, und tat es ihm nach.
–·–
Das Bauernehepaar und der Oheim standen vom Tisch auf, um in ihre Schlafstuben zu gehen, als es an der Hintertür klopfte.
»Wer kann das sein?«, flüsterte die Bäuerin mit schreckensweiten Augen. Die beiden Männer zuckten mit den Schultern. Während der Bauer sich den Prügel schnappte und sich neben den Türrahmen stellte, ging sein Bruder mutig zur Tür.
»Pass auf!«, wisperte die Schwägerin.
»Banditen klopfen nicht an«, gab er leise zu bedenken und öffnete. »Was machst du um diese Zeit hier?«, fragte er erstaunt, als er Karl Lauer erkannte.
»Tritt zur Seite und lass mich herein«, murmelte Karl und schob sich an der Gestalt des Oheims vorbei.
»Was ist geschehen, dass du mitten in der Nacht hier erscheinst?«, fragte der Bauer beunruhigt.
Karl goss sich einen Schnaps ein und kippte ihn hinunter. »Susanna war bei mir. Sie ist jetzt auf dem Weg nach Gersweiler.«
»Dem Herrn sei Dank! Dieser Lump hat sie nicht erwischt«, jubilierte die Bäuerin. Doch als sie in Karls bekümmertes Gesicht blickte, wurden ihre freudigen Gesichtszüge ernst.
»Du verschweigst uns etwas«, sagte der Oheim, und Karl nickte.
»Sie ist verletzt«, sagte er, und sogleich schrie die Bäuerin auf.
»Wie schlimm ist es?«, fragte ihr Mann.
»Zum Glück ist es nur ein Streifschuss. Ich habe die Wunde mit Alkohol gesäubert und verbunden. Mehr konnte ich nicht für sie tun.«
»Du sagst, sie ist auf dem Weg nach Gersweiler?«
Karl Lauer nickte. »Ich habe ihr geraten, den Schatz zu heben und dann das Weite zu suchen.«
Der Oheim nickte und murmelte: »Das hast du gut gemacht.«
Kapitel 20
Susanna musterte misstrauisch den Burschen, der wie ein Jäger in ein grünes Hemd und eine grüne Hose gekleidet war. Er war von drahtiger Figur, und sie schätzte ihn um einen Kopf größer, als sie selbst war. Seine Haare hatten die Farbe von altem Rost, und sie kringelten sich dicht an seinem Kopf. Als die Sonne aufging, blinzelte er gegen das Licht, und seine braunen Augen bekamen einen goldenen Schimmer. Die unzähligen Sommersprossen an den Nasenflügeln gaben seinem Gesicht einen pfiffigen Ausdruck. Susanna dachte, dass er im gleichen Alter wie ihr ermordeter Bruder Johann sein könnte, der zwei Jahre älter als sie gewesen war. Ihr Blick wanderte argwöhnisch zu der Armbrust in der Hand des Burschen, der ihre Gedanken zu erraten schien, denn er legte, ohne zu zögern, Waffe und Bogenköcher vor ihr auf den Boden.
»Ich tue dir nichts«, erklärte er lächelnd und kam einen Schritt näher.
Sogleich presste sich Susanna schutzsuchend gegen den Baumstamm.
»Komm mir nicht zu nahe!«, schrie sie. Trotz seines gefälligen Aussehens fürchtete sie sich vor ihm, zumal
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