Das Pestzeichen
das Fell über die Ohren gezogen.«
»Das habt ihr gut gemacht, du und deine Schwester!«, lobte sie ihn und ging mit ihm zum Feuer, um das Fleisch zu braten.
Urs spürte, dass er angespannt war und seine Hände leicht zitterten. Sein Vater, der jede seiner Bewegungen mit aufmerksamen Blicken verfolgte, verunsicherte ihn. Nie zuvor hatte er Bereitschaft gezeigt, seinem ältesten Sohn bei der Behandlung eines kranken Menschen zuzusehen. Bislang fehlte ihm jedes Verständnis für die Begeisterung des Sohnes für die Kunst zu heilen. Noch immer wehrte sich Urs gegen die Absicht des Vaters, ihn in wenigen Tagen in Trier zum Soldaten zu machen. Deshalb belastete es ihn umso mehr, sich nun von ihm bei der Ausübung der Heilkunst so beobachtet zu wissen. Doch dann dachte er an seinen Oheim, und ein Lächeln blitzte in Urs’ Gesicht auf. Er erinnerte sich an den Spruch, den der Onkel ihm mit auf den Weg gegeben hatte: »Glaube an dich und vertraue deinen Fähigkeiten.«
Heute würde Urs dem Vater zeigen, was er konnte. Er holte tief Luft und begann mit seiner Arbeit.
Susanna erwachte und spürte sofort, dass es ihr besser ging. Als Essensduft in ihre Nase stieg, schaute sie sich suchend um und erblickte die kleine Schwester des Wilddiebs, die neben ihr im Gras saß. »Grüezi di«, sagte das Mädchen und lächelte sie aus einem von Fett glänzenden Gesicht an. Dann nagte es weiter an der Kaninchenkeule, die es in seinen Händen hielt.
Susanna hatte zwar keine Ahnung, was das Kind zu ihr gesagt hatte, doch sie spürte, dass von dieser Familie keine Gefahr ausging. »Ich habe auch Hunger«, sagte sie zu der Kleinen. Die sprang sofort auf und lief zu ihrer Familie, die um das Feuer saß und ebenfalls aß. Susanna kam mühsam auf ihren Ellenbogen hoch und setzte sich auf, als der Bursche neben ihr stand.
»Geht es dir besser?«, fragte er besorgt, und sie nickte.
»Ich spüre kaum noch Schmerzen, und auch das Fieber scheint zurückgegangen zu sein. Außerdem habe ich Hunger«, gab sie kleinlaut zu.
»Das ist gut«, sagte er und reichte ihr einen Becher. »Trink das. Er beruhigt und heilt von innen.«
»Was ist das?«, fragte sie und schnupperte an dem Getränk, dessen Geruch ihr bekannt vorkam.
»Kamillensud«, sagte er und fügte lächelnd hinzu: »Erst wenn du den getrunken hast, bekommst du zu essen.«
Da Susannas Magen laut knurrte, trank sie den Sud in einem Zug leer. Der Junge nahm grinsend den leeren Becher entgegen und ging zurück zum Feuer, wo er mit seinen Eltern sprach, die daraufhin lachend zu Susanna herüberblickten. Die Frau reichte dem Sohn eine Holzschale und legte ein Stück gebratenes Fleisch und eine Scheibe Brot darauf. Beides brachte er Susanna.
»Es ist nicht viel, was wir dir anbieten können«, sagte er und reichte ihr die Schale.
Susanna griff gierig nach einem Fleischstückchen und schob es sich in den Mund. »Es schmeckt köstlich«, sagte sie kauend. »Wie hast du meine Wunde versorgt?«, fragte sie und biss in das trockene Brot.
Urs setzte sich im Schneidersitz neben Susanna und erklärte: »Ich habe sie mit verdünnter Liebstöckelessenz ausgewaschen, denn das nimmt den Eiter weg. Anschließend habe ich sie dick mit Ringelblumensalbe eingerieben. Der Kamillensud tut den Rest. Allerdings muss die Verletzung mehrmals täglich versorgt werden.«
»Warum weißt du, wie man eine Wunde behandelt? Du siehst nicht wie ein Heiler aus. Oder ist dein Vater einer?«, fragte Susanna hastig, denn sie hatte Angst, dass er nach dem Grund ihrer Verletzung fragen würde.
»Nein, mein Vater kann nicht heilen. Mein Oheim ist ein Heiler, und er hat mich vieles gelehrt. Das Versorgen einer Wunde ist einfach, wenn man weiß, welche Kräuter man nehmen muss.«
»Woher hast du die Kräuter? Du wirst sie wohl nicht hier auf der Lichtung gesammelt haben«, versuchte Susanna zu spaßen.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Urs und spürte, wie er errötete. »Mein Oheim schenkte mir zu meinem letzten Geburtstag einen Kasten mit den wichtigsten Heilpasten und Tinkturen.«
»Das ist ein großzügiges Geschenk«, lobte Susanna. »Wann hattest du Geburtstag?«, fragte sie und wischte mit dem Rest Brot das Fett aus dem Napf.
»Ich habe am gleichen Tag Geburtstag wie unser Heiland«, antwortete er.
Susanna verschluckte sich und rang nach Atem. Sogleich kam die Mutter des Burschen angelaufen und klopfte ihr auf den Rücken, bis der Husten nachließ. Trotzdem brachte Susanna keinen Ton heraus. Sie blickte den
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