Das Pestzeichen
das die Pumpen antreibt, um das Salzwasser aus dem Boden an die Oberfläche zu befördern. Die Pferde sind am Rad festgebunden und halten den Göpel in Bewegung, indem sie im Kreis laufen. Sein Ross kann ich nicht ins Geschirr spannen. Es ist zu groß und zu schwer.«
»Pah! Mein Pferd würde das Rad allein ziehen können«, prahlte Markus.
Jeremias ging auf die Angeberei nicht ein, sondern sagte: »Ich habe nie gesehen, dass deine Pferde Räder im Salzwerk antreiben. Sie stehen auf der Koppel und fressen sich die Bäuche dick.«
Schiffer nickte. »Das stimmt, denn wir haben die Pferdegöpel durch Wasserräder ersetzt, die aus dem Weiher gespeist werden. Doch weil die wochenlange Hitzewelle das Wasser im Teich verdunsten lässt und es kaum regnet, reicht das Wasser nicht mehr lange, um die Räder anzutreiben. Um weiter Salz gewinnen zu können, müssen wir in den nächsten Tagen die Pferde wieder an den Göpel spannen.«
»In den nächsten Tagen?«, fragte Jeremias.
Als Schiffer nickte, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: »Bis dahin sind wir zurück.«
–·–
Urs blickte dem Fuhrwerk seiner Eltern hinterher, bis es nicht mehr zu sehen war. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, denn noch nie zuvor war er von seiner Familie getrennt gewesen. Er ging zu dem Mädchen, das auf der Decke saß, die seine Mutter ihnen überlassen hatte. Auch hatte die Mutter für beide Brot und Hartwurst dagelassen. Es war nicht viel, doch es würde den aufkommenden Hunger dämpfen. Vor der Abfahrt hatte der Vater seinen Sohn zur Seite genommen und ihm heimlich einige Münzen in die Hand gedrückt.
»Zeig niemandem das Geld«, hatte er ihm zugeraunt und dabei in Richtung des Mädchens geblickt. Urs verstand und versteckte die Münzen in seinem Hosenbund. Er würde so wenig wie möglich davon ausgeben, denn er wollte schon morgen seiner Familie folgen.
Als Susanna zu ihm hochblinzelte, fragte er: »Geht es dir besser?«
»Viel besser«, zwitscherte sie, scheinbar vergnügt.
Fragend zog er eine Augenbraue hoch. »Das ging schnell.«
Sie nickte. »Ja, der Schmerz ist wie weggeweht.«
»Wie heißt du überhaupt?«
Ihr Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Wir beide scheinen den gleichen Gedanken zu haben, denn ich überlegte gerade, wie dein Name lautet.«
Urs setzte sich zu ihr und rupfte Grashalme aus der Wiese. »Ich heiße Urs. Urs Blatter«, verriet er, ohne aufzublicken.
»Urs«, wiederholte Susanna und fragte: »Woher kommt ihr? Eure Sprache ist seltsam und klingt hart und kratzig.«
Urs schaute hoch und lachte laut los. »Hart und kratzig«, johlte er und ließ sich rückwärts ins Gras fallen.
»Was ist daran lustig?«, fragte Susanna beleidigt.
»Das hat noch niemand über meine Sprache gesagt«, lachte er. Nachdem er sich beruhigt hatte, erzählte er ihr von seiner Heimat. Susanna hörte aufmerksam zu.
»Wie heißt du?«, wollte Urs nun wissen.
»Susanna Arnold«, antwortete sie und musste bei der Erwähnung ihres Familiennamens schlucken.
»Susanna – der Name passt zu dir«, erklärte Urs versonnen und betrachtete ihr Gesicht mit den rehbraunen Augen, der geraden Nase und den geschwungenen Lippen. Zu gerne hätte er ihr Haar angefasst, das durch das Licht der hochstehenden Sonne einen kastanienbraunen Glanz hatte. Alles, was er sah, gefiel ihm.
»Was ist?«, fragte sie stirnrunzelnd, denn ihr war sein sonderbarer Blick nicht entgangen.
Hastig räusperte er sich und fragte, um sie abzulenken: »Woher stammt die Schussverletzung?«
Susanna versteifte sich und zischte: »Das geht dich nichts an.«
Urs schaute sie erschrocken an, fragte aber nicht weiter. »Ruh dich aus, damit wir später in deinen Heimatort gehen können. Ich will vor Anbruch der Dunkelheit dort ankommen, damit ich morgen meiner Familie nach Trier folgen kann«, sagte er mürrisch. Er bemerkte, wie Susanna kurz zusammenzuckte. Ihm war das einerlei, denn er war verstimmt, weil sie ihm nichts von sich erzählen wollte.
Urs griff hinter sich und nahm seinen Rucksack nach vorn. Während er die Schnüre löste, schielte er mürrisch zu Susanna, die sich wortlos ausgestreckt und die Augen geschlossen hatte.
Susanna erwachte ausgeruht und räkelte sich vorsichtig, damit die Wunde nicht aufriss. Langsam öffnete sie die Augen. Urs saß mit dem Rücken zu ihr und blätterte in einem Buch.
»Was liest du?«, fragte sie und setzte sich hoch.
»Das Buch des Paracelsus«, antwortete er knapp, ohne sie anzuschauen.
»Aha!«,
Weitere Kostenlose Bücher