Das Pestzeichen
öffnete das Tor des Salzbrunnenhauses, als der Siedemeister Müller eintrat. Beide Männer musterten einander kurz und grüßten sich knapp. Während Jeremias hinausging, eilte Müller zu Schiffer.
»Hans Kalbfleisch aus Sankt Johann wird morgen herkommen«, teilte er Schiffer mit, der erfreut antwortete: »Sehr gut! Er ist der beste Händler der Umgebung. Nur bei ihm können wir die Eisenstangen für die Salzpfannenaufhängung kaufen.« Er klopfte Müller auf die Schulter und sagte: »Du hast jetzt die Aufsicht. Ich verlasse mich auf dich, dass die Handwerker beim Kerbenschnitt nicht betrügen.«
Der Siedemeister nickte. »Ich werde genau hinsehen, wenn sie am Ende ihrer Schicht die Kerbe in den Stock schneiden. Wo hast du die Gegenstöcke liegen?«
»Ich bringe sie dir«, sagte Schiffer und ging in seine Schreibstube. Dort öffnete er den Schrank, in dem die Kerbhölzer weggesperrt waren. Er besah sich jeden einzelnen und nahm die mit, die Müller zur Kennzeichnung brauchte.
Um zu errechnen, wie viele Tage ein Handwerker in der Saline arbeitete, hatte Schiffer Kerbhölzer angeschafft. Die Holzstücke waren mit den persönlichen Zeichen der Arbeiter markiert. Der Stab aus weichem Holz wurde der Länge nach gespalten. Jeder vollendete Arbeitstag wurde als eine Kerbe in die zwei Holzhälften eingeschnitzt. Ein Holz behielt der Arbeiter, das andere blieb in der Saline. War die Arbeit abgeschlossen, wurden die beiden Hälften aneinandergelegt, und man überprüfte, ob sie einander glichen. Nach der Anzahl der Kerben richtete sich der Lohn der Arbeiter.
Schiffer nahm die vier Hölzer und brachte sie zu Müller ins Salzbrunnenhaus. »Ich bin erst morgen wieder zu sprechen«, teilte er dem Siedemeister mit und verließ den Schuppen, um in den »Röhrenden Hirsch« zu gehen.
Markus schaufelte sich gierig das Gemüse mit dem kleingeschnittenen Wellfleisch in den Schlund und spülte mit Bier nach. Kaum hatte die Wirtsfrau Jeremias die saftige Fleischpastete hingestellt, nahm er sie in beide Hände und biss hungrig hinein. Fett triefte ihm vom Kinn, als der Wirt einen frisch gefüllten Bierkrug brachte. Jeremias wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und nahm einen Schluck. Gesättigt rülpste er und sagte zufrieden: »Jetzt geht es mir besser!«
Markus nickte und fragte: »Wann kommt er?«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Schiffer trat ein. Durch den Dunst des Pfeifenrauchs hindurch suchte er die beiden Männer. Als er sie am Ende eines langen Tisches sitzen sah, holte Schiffer tief Luft und straffte seine Schultern, um sich für das Gespräch zu wappnen, denn er ahnte, dass ihm beide Ärger bereiten würden. Mit einem Handzeichen bestellte er beim Wirt ein Bier und ging zu ihnen.
Als Schiffer sich setzte, sagte Markus mit spöttischem Unterton: »Ich grüße dich, Eckart.« Grinsend versenkte er seinen hämischen Blick in dem Bierkrug, den er zum Mund führte.
Schiffer würdigte Markus keines Blickes und sah Jeremias streng an. »Erzähl, was geschehen ist.«
Jeremias berichtete und sagte: »Markus hat das Mädchen zwar getroffen, aber nicht schwer verletzt.«
»Woher wollt ihr wissen, dass sie überhaupt getroffen wurde?«
»Ich weiß, wann ich danebenschieße und wann ich treffe«, zischte Markus in Schiffers Richtung.
»Aber tödlich getroffen ist sie nicht?«
»Dann wäre sie vom Pferd gefallen«, nuschelte Markus verächtlich.
»Wir werden uns heute Nacht ausruhen und bereits vor dem Morgengrauen nach Gersweiler reiten, um dort auf das Luder zu warten«, sagte Jeremias.
»Du denkst, dass sie den Schatz ebenfalls suchen will?«
»Sie wäre dumm, wenn sie es nicht täte. Immerhin ist sie im Besitz der magischen Schriften.«
Schiffer nickte und dachte nach, als Jeremias forderte: »Du musst uns zwei frische Pferde geben. Dafür bekommst du Markus’ Schlachtross.«
»Ich habe schon mein Prachtpferd an das Miststück verloren. Das hier bekommt er nicht!«, erklärte Markus ruhig, doch sein Blick zeigte Wut über den Vorschlag von Jeremias.
»Ich kann euch keine Pferde geben, und seinen Gaul kann ich nicht gebrauchen«, sagte Schiffer unwirsch.
»Du hast mehrere Pferde in der Saline!«, behauptete Jeremias gefährlich leise. Er hatte keine Lust zu betteln und würde sich die Pferde notfalls mit Gewalt nehmen.
»Diese benötige ich, um die Göpel anzutreiben.«
»Um die … was?«, fragte Jeremias. Auch Markus schaute Schiffer neugierig an.
»Der Göpel ist ein großes Rad,
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