Das Pestzeichen
stellte die Alte fest und wollte sich erheben, doch Susanna zog sie wieder in die Knie.
»Was ist mit dir?«, fragte die Fremde erstaunt.
»Ich habe eine Verletzung, weshalb ich lieber sitze«, erklärte Susanna mit scheinheiligem Gesicht, denn sie wollte nicht, dass Urs sie im Gespräch mit der Frau sah.
Die Alte blickte Susanna mitfühlend an. »Du armes Kind!«, sagte sie und erklärte ihr mit wenigen Worten den Weg. Susanna bedankte sich und ging frohgelaunt zurück zu Urs.
Während er wartete, dachte er über Susanna nach, aus der er nicht schlau wurde. Woher kam ihre Verletzung, und warum machte sie aus ihrem Leben ein Geheimnis? Er hatte ihr bereitwillig Auskunft über sich und seine Heimat gegeben und erwartete von ihr dasselbe. Urs fand, dass sie ihm dankbar sein sollte, weil er ihr geholfen hatte. Nur dank seiner fachmännischen Behandlung hatte sich die Wunde nicht weiter entzündet. Wer wusste, was mit ihr geschehen wäre, wenn sie sich nicht zufällig im Wald begegnet wären? Auf ihre plötzlich aufkommenden Schmerzen, die genauso plötzlich wieder vergingen, konnte er sich ebenso wenig einen Reim machen wie darauf, dass sie den Weg in ihr Heimatdorf nicht genau wusste. Das Mädchen gab ihm Rätsel auf, und er wusste nicht, ob er Lust hatte, sie zu lösen. Morgen würde er nach Trier marschieren und sie nie wiedersehen.
Doch als er Susanna auf sich zukommen sah, die während des Gehens ihr Haar über die Schulter warf, konnte er nicht leugnen, dass er es bedauern würde, von ihr Abschied zu nehmen. Wer weiß, vielleicht sehen wir uns doch wieder , dachte er und spürte ein seltsam wohliges Gefühl in sich hochsteigen.
»Wir müssen in diese Richtung«, erklärte Susanna und schwang sich auf das Pferd.
»Ach ja?«, fragte er zweifelnd. »Und das ist dir hinter den Büschen eingefallen?«
»Ich sagte doch, dass ich nicht überlegen kann, wenn ich muss. Jetzt weißt du die Richtung, also lass uns losreiten.«
Kopfschüttelnd setzte sich Urs vor sie und schnalzte mit der Zunge, damit das Pferd losschritt.
Kapitel 23
Mit der anbrechenden Dunkelheit erreichten Urs und Susanna den Ort Gersweiler, der ausgestorben und unheimlich wirkte. Keine Menschen begegneten ihnen, und selbst am Brunnen konnten sie niemanden entdecken. Von einigen Katen waren nur noch Ruinen übrig, die von Ranken und Gestrüpp überwuchert waren. Unversehrte Hütten dagegen schienen verlassen, denn weder drang Lichtschein aus den Stuben nach draußen, noch erklangen Stimmen aus dem Innern. Die Häuser wirkten unbewohnt und düster.
»Hier muss der lange Krieg, von dem mir mein Vater erzählt hat, heftig gewütet haben«, sagte Urs mit verhaltener Stimme und betrachtete mit gemischten Gefühlen die Umgebung.
Susanna legte beide Arme um Urs’ Leib und klammerte sich an ihn. Angst stieg in ihr hoch und schnürte ihr die Kehle zu. Hinter jedem Baum, hinter jeder Häuserwand vermutete Susanna einen Dämon, der sie, wie man ihr erzählt hatte, in die Zwischenwelt schleifen würde . Sie wissen, warum ich hier bin , fürchtete Susanna und kniff die Augen zusammen. Als keine Dämonen auftauchten, schaute sie sich tapfer um und versuchte sich einzureden, dass Karl Lauer und die Sonntag-Brüder sie mit ihren Geschichten nur hatten einschüchtern wollen.
»Wo steht dein Elternhaus?«, fragte Urs, der seiner Stimme nur mit Mühe einen ruhigen Klang geben konnte. Innerlich spürte er ein Zittern, denn als Susannas Arme ihn umschlangen, hätte er beinahe aufgehört zu atmen. Er ahnte, dass die Dunkelheit sie ängstigte, und strich ihr beruhigend über den Handrücken. »Sicher bist auch du froh, wenn wir endlich da sind«, sagte er und atmete ihren Geruch tief ein. »Bei Tageslicht sieht dein Heimatort gewiss freundlicher aus«, tröstete er sie.
Susanna schwieg, sodass er das Pferd anhalten ließ und sich zu ihr umdrehte. Mit schreckensbleichem Gesicht und bebenden Lippen saß sie hinter ihm und traute sich kaum aufzublicken.
»Was hast du? Schmerzt deine Wunde?«, fragte er besorgt.
Susanna schüttelte den Kopf.
»Dann bin ich beruhigt«, sagte er und lächelte, doch anscheinend konnten seine freundlichen Worte ihr nicht die Angst nehmen, denn sie starrte ihn aus großen Augen an.
»Jetzt schau nicht, als ob du einen Geist gesehen hättest«, mahnte er sie. »In welcher Richtung wohnen deine Eltern?«, fragte er und drehte sich wieder nach vorn, wobei er sich suchend umblickte.
Susanna konnte keinen klaren Gedanken fassen. Jedes
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