Das Pestzeichen
sagte sie und rückte hinter ihn, um über seine Schulter blicken zu können. Sofort klappte er das Buch zu.
»Ist wohl ein geheimes Buch«, raunzte sie.
»Nein, ist es nicht. Aber warum sollst du alles über mich wissen, während ich von dir nichts wissen darf?«, schimpfte er.
»Du bist kindisch«, hänselte sie ihn und kroch zurück auf ihr Lager.
»Denk, was du willst«, brummte er und suchte in dem Rucksack nach dem Tiegel mit der Ringelblumensalbe. »Heb deinen Kittel, damit ich deine Wunde sehen kann. Anscheinend macht sie dir keine Beschwerden mehr. Trotzdem werde ich sie erneut mit der Paste einreiben. Anschließend reiten wir zu deiner Familie.«
Susanna legte sich auf die Seite und schob ihren Kittel hoch. Während er ihre Wunde versorgte, grübelte sie darüber nach, wie sie Urs zum Bleiben überreden konnte. Nachdem er ihr arglos verraten hatte, dass er am selben Tag wie der Herr Jesus Geburtstag hatte, war sie fest davon überzeugt, mit seiner Hilfe mühelos die Schatzgeister erlösen zu können. Nein, sie würde ihn nicht so schnell ziehen lassen. Vielleicht benötige ich dank ihm die übrigen Werkzeuge für die Schatzsuche nicht mehr , hoffte sie in Gedanken und lächelte Urs versöhnlich an.
Urs half Susanna aufzusteigen und führte das Pferd und seine Reiterin über die Lichtung in den Wald zu der Stelle, wo sie sich das erste Mal begegnet waren. Von dort versuchte Susanna, ihn auf den Hauptweg zu lotsen, der nach Saarbrücken führte. Es war schwierig, zwischen den Bäumen den Pfad zu erkennen, und sie führte Urs kreuz und quer, bis er stehenblieb und schimpfte: »Wir bewegen uns im Kreis!«
»Was kann ich dafür? Ich war schwer verletzt, als ich mich ins Unterholz schlug.«
Urs atmete tief ein, um seinen Unmut zu unterdrücken, und blickte sich suchend um. »Warte hier«, sagte er ungehalten und reichte ihr die Zügel. Dann verschwand er zwischen den Bäumen.
Es dauerte nicht lange, und er kam zurück. Ohne ein Wort nahm er ihr die Zügel aus der Hand und führte das Pferd sicher durch den Wald hinaus auf den Hauptweg. Dort stieg er vor Susanna auf den Gaul und sagte: »Weißt du nun, in welche Richtung wir müssen?«
Sie nickte und zeigte ihm den Weg.
»Halt dich an mir fest«, befahl er und lenkte das Pferd nach links. Durch einen leichten Tritt in die Seite ließ er es antraben.
Unterwegs begegneten ihnen Fuhrwerke, Reiter und vereinzelt Fußgänger, die allein oder in Gruppen unterwegs waren. Während Urs den Menschen freundlich zunickte, versteckte Susanna ihr Gesicht hinter seinem Rücken. Sie hatte Angst, dass jemand sie erkennen oder Jeremias ihren Weg kreuzen könnte.
Karl Lauer hatte Susanna erklärt, dass sie sich vor Saarbrücken rechts halten müsste. Diese Anweisung gab sie nun Urs. Die neue Richtung schlug einen Bogen und führte sie von der Stadt fort. Als sie an eine Kreuzung kamen, zügelte Urs das Pferd.
»Wohin jetzt?«, fragte er und drehte ihr seinen Kopf zu.
Susanna blickte sich um. Der linke Weg führte schnurgeradeaus. Der rechte hingegen machte einen Knick und schien parallel zu ihrem Hinweg zu führen. Susanna schnaufte laut aus und überlegte.
»Was ist? Weißt du nicht, wie wir in deinen Heimatort kommen?«, fragte Urs und blickte sie verständnislos an.
»Rede keinen Unsinn!«, schimpfte Susanna und dachte nach. »Nach links«, bestimmte sie. Doch als er das Pferd in die Richtung lenkte, schrie sie: »Nein! Nach rechts!«
»Spinnst du? Du willst mich wohl zum Narren halten?«, brauste Urs auf. Er saß ab und schaute sie wütend an.
Susanna blieb von seinem Zorn ungerührt und nahm die Umgebung genau in Augenschein. Als sie vom Pferd rutschte, erklärte sie: »Ich kann nicht klar denken, wenn es mich drückt« und verschwand eilig zwischen den Büschen.
Susanna war froh, dass Urs ihre Lüge glaubte und ihr nicht folgte, denn sie hatte vom Pferd aus eine Frau hinter Sträuchern entdeckt. Vorsichtig pirschte Susanna sich bis zu der Frau heran, die auf dem Boden kniete und Blaubeeren in einen Korb sammelte. Als Susanna sich neben sie hockte und sie ansprach, zuckte die Frau zusammen und blickte das Mädchen erschrocken an.
»Kannst du mir sagen, wie ich nach Gersweiler komme?«, fragte Susanna im Flüsterton.
Die Frau zerrte ihr Kopftuch aus der Stirn und blickte Susanna forschend an. »Warum flüsterst du? Hast du deine Stimme verloren?«, fragte sie ebenso leise.
Susanna nickte und rieb sich über den Hals.
»Du bist wohl nicht von hier«,
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