Das Pete Buch 01 - Die Lausbuben von Somerset
einen Kuß als Zugabe'. Willst du leugnen, diese Worte gebraucht zu haben?" Pete macht eine kleine wirkungsvolle Pause und fügt dann, sehr leise, aber nicht minder furchteinflößend, hinzu: „Willst du behaupten, daß Dorothy unter Ehrenwort eine falsche Zeugenaussage macht?"
Jimmy schnattert mit den Zähnen. „Es ist doch alles — nur Spaß gewesen", jammert er.
„Solche Späße versteht der ,Bund der Gerechten* nicht", ruft Sam Dodd. „Der Angeklagte ist geständig. Ich beantrage Verurteilung!"
Der Verteidiger, Bill Osborne, hebt die Hand: „Einspruch! Mein Klient hat keineswegs zugegeben, schuldig im Sinne der Anklage zu sein. Er hat lediglich erklärt, es wäre alles nur Spaß gewesen."
Die Geschworenen tuscheln miteinander. Ist nun die Schuld Jimmys im Sinne der Anklage erwiesen oder ist sie nicht erwiesen? Hat sich Jimmy der versuchten Erpressung schuldig gemacht? Er behauptet, daß er nur Spaß machen wollte. Die Jungen nehmen die „Gerichtsverhandlung" sehr ernst — fast so ernst, als bildeten sie ein richtiges Gericht. Läßt sich Jimmys Behauptung widerlegen? Man weiß natürlich, daß er die zwanzig Dollar haben wollte. Es besteht gar kein Zweifel daran, daß er Dorothy zu erpressen versucht hat. Aber sein Einwand, er habe nur Spaß machen wollen — ein Einwand, der vor einem ordentlichen Gerichtshof niemals
Glauben gefunden hätte — wird von diesen Geschworenen ernsthaft geprüft.
Der Ankläger hat das Wort: „Ist Jimmy Watson eine Erpressung zuzutrauen? Ja! — Deuten nicht alle Tatsachen darauf hin, daß er die Erpressung ernst gemeint hat? Ja! — Hat er nicht noch soeben die zwanzig Dollar und unverschämterweise einen Kuß als Zugabe verlangt? Ja! — Kann man unter diesen Umständen auch nur den leisesten Zweifel hegen, daß er schuldig ist? Nein! _"
Pete erteilt dem Verteidiger das Wort. Bill Osborne haßt Jimmy und verachtet ihn. Er ist fest von seiner Schuld überzeugt. Aber er ist der Verteidiger und nimmt seine Aufgabe ernst: „Der Ankläger ergeht sich in Mutmaßungen, ob Jimmy Watson eine Erpressung zuzutrauen sei, und glaubt, diese Frage mit „ja" beantworten zu können. Mutmaßungen sind keine Beweise. Behauptungen reichen für einen Schuldspruch jedenfalls nicht aus. Vor Gericht, insbesondere vor diesem ehrenwerten Femegericht des „Bundes der Gerechten" können nach Ansicht der Verteidigung nur Tatsachen berücksichtigt werden. Hat Jimmy Watson die Erpressung ernst gemeint? Der Ankläger behauptet es. Die Verteidigung behauptet das Gegenteil: Jimmy Watson hat nur Spaß machen wollen. Die Verteidigung kann ihre Behauptung nicht beweisen, aber die Anklage ist gleichfalls nicht imstande, einen einwandfreien Beweis zu erbringen. Nach uraltem Rechtsbrauch hat das Gericht im Zweifelsfalle zugunsten des Angeklagten zu entscheiden. Die Verteidigung beantragt daher, den Angeklagten mangels Beweisen freizusprechen."
„Jawohl, ihr Dummköpfe!" wird Jimmy jetzt frech. „Beweist mir doch mal die schlechte Absicht, haha!"
Einen Augenblick lang sieht es so aus, als würden die Geschworenen ihre Würde vergessen und den unverschämten Burschen auf der Stelle verprügeln. Selbst der Verteidiger kann kaum noch an sich halten und hebt schon das Bein, um dem Angeklagten einen Fußtritt zu versetzen, als Pete dazwischenfährt.
„Ruhe! Das Femegericht ist kein Zirkus, Kameraden. Wir sind hier, um die Wahrheit zu finden und Recht zu sprechen — nicht, um Haßgefühlen Raum zu geben. Ich bitte die Geschworenen, unbeeinflußt und vorurteilslos folgende Fragen zu beantworten: 1. Ist Jimmy Watson der versuchten Erpressung schuldig? 2. Oder ist Jimmy Watson nicht schuldig im Sinne der Anklage? 3. Beziehungsweise, wenn keine der beiden Fragen eindeutig beantwortet werden kann, soll der Angeklagte dann mangels Beweisen freigesprochen werden? — Diese drei Fragen bitte ich zu beraten."
Die Geschworenen tuscheln abermals miteinander. Jimmy Watson überlegt inzwischen, ob er einen Fluchtversuch wagen darf. Er hält diese ganze Gerichtsverhandlung für eine Komödie. Daß die „Gerechten" etwa zu einem Freispruch gelangen könnten, das hält er für ganz ausgeschlossen. So ist er ganz verdattert, als er den Wahrspruch der Geschworenen vernimmt:
Zu Frage eins: keine Entscheidung! — Zu Frage zwei: keine Entscheidung! — Zu Frage drei: Freispruch mangels Beweisen!"
Er will gehen, aber sofort wird er gepackt und festgehalten. Vorbei ist es mit seiner Frechheit und Überheblichkeit.
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