Das Pete Buch 01 - Die Lausbuben von Somerset
tun, was er jeden Abend tut — er schlägt seine Frau.
„Sperren Sie doch dieses Vieh endlich ein, Watson", verlangt ein grauhaariger alter Cowboy. „Man kann doch nicht zusehen, wie der Kerl die arme Frau mißhandelt!"
„In seinem Hause kann er tun und lassen, was ihm gefüllt", sagt Watson verdrossen. „Nach dem Gesetz muß der Geschädigte eine Anzeige machen. Erst dann kann ich eingreifen. Der Geschädigte ist die Frau — und diese macht keine Anzeige. Weitergehen, Leute! Geht weiter — hier gibt es nichts zu sehen."
Jeff ist empört. „Das ist doch nicht gerecht!" ruft er aus. „Man muß doch etwas unternehmen, um diese hilflose Frau zu beschützen!"
Watson blickt ihn giftig an. „Dafür bin ich nicht zuständig, Bengel. Sieh zu, daß du weiterkommst oder du kriegst eines auf die Backe. Denkst du vielleicht, du kennst das Gesetzbuch besser als ich?!"
Pete zieht Jeff mit sich fort. „Siehst du, Jeff — so ist das. Manches ist gegen die Gerechtigkeit — und doch können die Vertreter des Gesetzes nicht eingreifen. In solchen Fällen, wie auch zum Beispiel im Falle .Perkins*, der den Rancher Jones ruinieren will, greift der ,Bund der Gerechten' ein. Nun sage selber und entscheide dich: Was ist besser? Wehrlose und arme Leute zu ärgern, wie es die Schreckensbande tut — nur, um dann so etwas wie Schadenfreude über die hilflose Wut der Opfer zu .empfinden — oder ist es besser, den Hilfsbedürftigen tapfer zur Seite zu stehen und gemeine Menschen wie diesen Conally zu bestrafen?" Jeff steht mit gesenktem Kopf da. Er schämt sich. „Du hast recht, Pete", gibt er leise zu. „Ich möchte wieder dein Freund sein. Laß mich mitmachen, wenn es Conally an den Kragen geht."
Das Femegericht kennt keine Gnade. Conally schläft ein und hat ein grausiges Erwachen. Nie wieder Whisky!
Seit einer Stunde tagt das Femegericht, und noch immer liegt keine Entscheidung vor. Die Jungen vom • „Bund der Gerechten" nehmen es mit dieser „Gerichts-Verhandlung" bitter ernst. Jeff, der zwar erst eine Probe ablegen muß, bevor man ihn wieder in den Bund aufnimmt, darf der Verhandlung als Gast beiwohnen. Er ist verblüfft, mit welcher Sachlichkeit der „Fall Conally" durchgesprochen wird.
Das Sündenregister des Trunkenboldes ist groß. Es umfaßt zwölf eng beschriebene Seiten aus Petes „Geheimakten": Tierquälerei, Mißhandlung seiner Frau, rohe Gewalttätigkeiten gegenüber Mitgliedern des Bundes — es kommt allerlei zusammen, und doch wird höchst korrekt alles Für und Wider erwogen.
,Es ist einfach imponierend!' findet Jeff, und er begreift, daß man nicht blindlings hergehen und „Gerechtigkeit" üben darf. Es kommt auch darauf an, die Wahrheit zu finden. Was um so schwieriger ist, wenn Buben im Alter zwischen zehn und sechzehn Jahren zu ergründen versuchen, warum und wieso ein erwachsener Mann wie Conally sich so unanständig benimmt.
Bill Osborne in seiner Rolle als Verteidiger (er trinkt heimlich auch mal einen Schluck!) findet großartige Worte zur Entlastung seines Mandanten. Er spricht von der unheilvollen Wirkung des Alkohols, davon, daß ein dem Alkohol verfallener Mensch willensschwach wird und die Selbstkontrolle verliert, daß er bald nicht mehr zu unterscheiden vermag, was Recht und was Unrecht ist. Bill plädiert auf „verminderte Zurechnungsfähigkeit" — und die „Geschworenen", die ihm sichtlich beeindruckt zuhören, werden schon wankend. Aber da legt Dorothy, die Anklägerin, mit ihrem Plädoyer los:
„Es ist natürlich leicht zu sagen, der Alkohol wäre schuld", donnert Dorothy die Geschworenen an. „Irgendeine Ausrede für menschliche Schlechtigkeit findet sich immer! Betrachten wir diesen Fall jedoch einmal von einer anderen Seite: Angenommen, der Trunkenbold Conally wäre nicht mehr imstande, seine Gier nach dem
Alkohol zu bezähmen — und angenommen, er besäße nicht mehr die erforderliche Einsicht, um zu begreifen, daß er Unrecht tut — in dem Fall, hebe Freunde, ist Conally tatsächlich nicht verantwortlich zu machen. Verantwortlich zu machen sind alle die Menschen, welche die Einsicht b e s i t z e n und nichts tun, um den Trunkenbold von seinem verwerflichen Tun abzuhalten. Dann ist der Sheriffsgehilfe Watson schuldig, weil er behauptet, .nicht zuständig' zu sein! Dann sind wir schuldig, wenn wir untätig zusehen, wie dieser Verworfene immer tiefer sinkt, wenn wir die Hände in den Schoß legen und geduldig abwarten, bis der Trunkenbold eines Tages im Rausch
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