Das Pete Buch 02 - Gespenster haben kurze Beine
Pete blickte vorsichtig hinaus. Da lief das schräge Dach abwärts und darunter befand sich das Dach des Holzschuppens, wie er wußte. Es war leicht möglich, dort hin-unterzuklettern und den Boden zu erreichen.
„Da haben wir es!" triumphierte Watson plötzlich aufgeregt. „Es ist deine Schuld, wenn sich das arme Mädchen etwas angetan hat — deine Schuld, du verdammter Bengel!"
Watson rannte hinaus, und Pete studierte entsetzt die Botschaft, welche Nora Paddington zurückgelassen hatte. Mit flüchtiger Handschrift waren ein paar Worte auf ein Blatt Papier gekritzelt:
„Niemand kann mir helfen — niemand! Es wird immer schlimmer mit mir. Soll ich mein ganzes Leben in einer Heilanstalt verbringen? Nein, nein — dann mache ich lieber ein Ende. Ich springe in den Fluß. Vergebt mir!
Nora.«
Fassungslos las Pete diese Botschaft. Es war ihm einfach rätselhaft, wie Nora dazu kam, einen derartigen Unsinn zu schreiben. Bildete sie sich denn wirklich ein, geistig nicht normal zu sein? War sie nicht, als Dorothy sie vorhin aufgeweckt hatte, in vergnügter, ja ausgelassener Laune gewesen? — Und nun dieser Brief...
Mit einem Satz war er aus dem Fenster, rutschte das schräge Dach hinab, landete auf dem Holzschuppen — und war schon im Sattel, als Watson aus der Haustür gestürzt kam.
Pete erreichte den Fluß als erster, dicht gefolgt von Watson und den beiden Detektiven. Yale und Strong
bogen sofort nach rechts und links aus, um das Flußufer abzusuchen.
Es hatte in der Nacht geregnet. Der Fluß war angeschwollen, und von dem Engpaß her, etwas unterhalb, wo die starke Strömung sich durch die Felsen zwängte, war ein dumpfes Brausen zu vernehmen.
„Hier — hier ist es!" schrie Watson, der das Ufergestrüpp durchsucht hatte.
Da liefen Fußabdrücke im Sande. Watson fand die Schuhe des Mädchens — und dann die Kleider. Die Fußspuren führten in das Wasser hinein ...
„Merkwürdig", sagte Yale.
„Sehr merkwürdig!" bemerkte Strong.
Watson begann zu toben. Er belegte Pete, der ganz verstört und ratlos dastand, mit allen möglichen Vergleichen aus der Tierwelt. Die Detektive hingegen schienen weder böse noch erschüttert zu sein — sie wechselten bedeutungsvolle Blicke.
„Lassen Sie, Watson — das Geschrei hat ja doch keinen Zweck", erklärte Yale nach einer Weile. „Davon wird das Mädel nicht wieder lebendig. Wir müssen die Flußufer absuchen, aber wir werden wohl sehr weit stromabwärts reiten müssen. Die Strömung ist sehr stark."
„Zehn Meilen von hier entfernt befindet sich die große Flußbiegung", meinte Watson. „Wenn irgendwo, dann ist das unglückliche Mädchen dort zu finden. Reiten wir also..."
„Ich werde Mister Applewood verständigen", sagte Yale rasch.
„Und ich versuche, irgendwo ein Boot aufzutreiben", erklärte Strong. „Sie sehen sich vielleicht indessen bei der Flußbiegung um, Watson! Wir kommen dann gleich nach..
Watsons Blicke suchten Pete — aber der Junge war verschwunden! —
„Er ist sicher zur Ranch zurückgeritten", sagte Yale. „Natürlich hat er Angst. Na, dann lassen Sie sich nicht aufhalten, Watson..."
Es kam Watson recht merkwürdig vor, daß die Detektive ihn nicht begleiten wollten. Er dachte aber nicht weiter darüber nach. —
Als Pete, atemlos vom schnellen Galopp, auf dem Vorplatz der Salem-Ranch ankam, sah er gerade noch einen Reiter davon jagen — eine höchst verdächtige Gestalt mit einem Hut, der viel zu groß war, und in zerlumpten Kleidern...
Was hatte dieser Vagabund auf der Ranch zu suchen gehabt? Pete band sein Pferd an und sah sich nach Dorothy um. Die Schwester war nirgends zu sehen. Er überlegte, ob er den Tramp verfolgen sollte. Der Reiter hatte den Waldrand fast erreicht — und jetzt sah Pete auch den zweiten Reiter, der, halb hinter Strauchwerk verborgen, dort wartete.
Die beiden Vagabunden begrüßten sich, und der erste — den Pete soeben hatte davon jagen sehen — warf dem anderen ein kleines Paket zu. Hatten die Landstreicher etwas gestohlen? Waren sie in das Haus eingedrungen, unbemerkt von Dorothy--?
Von plötzlicher Sorge um die Schwester erfüllt, lief Pete in das Haus. Im Wohnzimmer herrschte eine wilde Unordnung. Der Tisch war noch nicht abgeräumt, eine Tasse lag zerbrochen am Boden, die Tür des Kleiderschrankes in der Ecke stand weit offen, und eine
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