Das Pete Buch 22 - Wer blufft wen
habe die ganze Nacht gearbeitet! Jetzt komme ich nicht einmal ans Ziel? Eine ganz große Gemeinheit ist das!"
„Sie können ja auch zu Fuß gehen, Watson", riet der Lokführer. „Wenn Sie immer auf den Schienen bleiben, kann Ihnen nichts passieren! Immer nur der Nase nach, lieber Freund!"
Onkel John verzog die Stirn in Denkerfalten. Er kombinierte haarscharf. Ja, wenn er zu Fuß losgehen würde,
hatte er immerhin Chancen, noch vor den anderen Tucson zu erreichen.
„Sehr gut, Boß", sagte er, „ich werde es so halten. Schönen Dank auch fürs Mitnehmen und gute Reise! Zurück fahre ich im Automobil."
„Sonst noch einen Wunsch?" Heizer Pat Norman grinste fürchterlich. „Warum fliegen Sie nicht gleich per Zeppelin nach Somerset zurück? Ein Zeppelin wäre für 'nen Hilfssheriff gerade das richtige Verkehrsmittel."
John Watson hörte schon nichts mehr. Er war von der Lokomotive abgesprungen, auf dem Schotter ausgerutscht, und sein Gesicht glich jetzt einem Moorenkopf, den man mit Himbeersirup begossen hat. Das aber ahnte der tapfere Hilfssheriff nicht. Er glaubte, seine Hautfarbe sei nach wie vor weiß. Das war aber ein großer Irrtum! Der Kohlenstaub hatte sich nämlich prächtig mit dem Schweiß vermischt. Und in diesem schwarzen Gesicht prangten jetzt die Kratzer, die er sich auf dem Schotter geholt hatte, blutigrot. Man konnte schon das Fürchten bekommen, wenn man Watson so sah.
Dieser nahm, nachdem er sich mit einigen kräftigen Flüchen Luft gemacht hatte, die Wanderung auf. Vor ihm glänzte der Schienenstrang im fahlen Licht des Mondes.
„Ich werde es schon schaffen", murmelte er vor sich hin, „ich werde mich nicht einschüchtern lassen. Zwar sind die Umstände gegen mich, aber das macht fast gar nichts. John Watson, du wirst auch in diesem Kampfe den längeren ziehen."
Während er sich so Mut machte, hüpfte er eifrig von Schwelle zu Schwelle. Die Sterne verblaßten langsam, der Himmel zeigte im Osten schon einen hellen Streifen. Der neue Tag dämmerte herauf. John Watson legte noch mehr vor. Stur und verbissen nahm er den Kampf mit der Zeit auf. Er gönnte sich keine Ruhepause. No, er wollte und mußte Tucson zuerst erreichen! Und er schaffte es! Die Sonne stand gerade am Himmel, als er im Bahnhof von Tucson ,einlief! Zu Fuß, mitten auf dem Schienenstrang, keuchte er heran: ein schwarzes Ungetüm, mit roten Streifen im Gesicht.
Auf dem Bahnsteig standen viele Menschen. Sogar einige Herren im Frack mit steifen Zylinderhüten waren anwesend. Ein junges Mädchen, angetan mit einem weißen Spitzenkleid, hielt einen mächtigen Blumenstrauß in der Hand.
John Watson überlegte nicht lange! Er sprang mit einem Satz auf den Bahnsteig, zog seinen Hut und krächzte:
„Hier bin ich! Ich habe es geschafft! Gut, daß Sie mich abholen! Ehre, wem Ehre gebührt! John Watson, der Held von Arizona, hat es auch in diesem Falle geschafft! Hoch! Hoch! Hoch!"
Onkel John schwenkte seinen Hut und führte einen wahren Indianertanz auf. Die Männer in den Fräcken sahen sich bestürzt an. Das Mädchen mit den Blumen wurde abwechselnd blaß und rot. Plötzlich aber wurde sie schwarz. John Watson schwenkte sie nämlich im Kreise und drückte ihr dann noch einen saftigen Kuß auf die Wange.
Das war zu viel! Einige starke Männer drängten herbei, griffen den „Verrückten" und zerrten ihn zurück.
„Sind Sie wahnsinnig geworden", zischte einer, „was erlauben Sie sich? Was soll der Herr Bürgermeister denken? Und dann seine eigene Tochter. Scheren Sie sich zum Teufel!!"
Onkel John glotzte blöde. Er wußte nicht, wie ihm geschah. „Bür — Bür — Bürgermeister? Was soll das? Ich denke, es war wegen der Eieruhren?"
„Der Kerl hat sie nicht mehr alle beisammen", knurrte ein zweiter, „am besten, wir rufen den Krankenwagen und lassen ihn gleich in die Anstalt bringen."
„Dazu ist keine Zeit mehr, Freund. Soeben kommt der Herr Senator an. Los, weg mit dem Kerl!"
John Watson bekam einen Tritt in den Allerwertesten und segelte durch eine schmale Tür. Vor ihm lag ein dunkler Gang. Der Hilfssheriff tastete sich vorwärts. Einige Male stieß er sich den Kopf, endlich aber hatte er es geschafft. Er gelangte zu einer Tür, die nicht verschlossen war. Dann stand er plötzlich auf einer Bühne.
„Es spricht jetzt der Herr Senator für Volksbildung, Mr. John . . ."
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