Das Phantom der Freiheit
oft gesungen. Etwas über einen ziemlich finsteren Typ, der einen Mord begangen hatte.
Ah, ja. »Sam Hall.« Wie war noch der Text? Man brauchte eine angerauhte, alkoholisierte Stimme, um es richtig zu singen.
Ja, mein Name ist Sam Hall, ist Sam Hall
Und ihr könnt mich alle mal, alle mal
So ähnlich war es gewesen. Und Sam Hall war im Begriff, aufgeknüpft zu werden. Thornberg erinnerte sich jetzt. Er fühlte sich selbst wie Sam Hall. Er betrachtete das Bedienungspult der Maschine und fragte sich, wie viele Sam Halls in den Speichern sein mochten.
Statt zu seiner Arbeit zurückzukehren, setzte er sich müßig an die Eingabestation und tippte eine Anforderung: Sam Hall, keine weiteren Spezifikationen. Eine halbe Minute später spuckte die Ausgabestation eine Papierbahn aus, deren Blätter, sauber im Zickzack gefalzt, ins Auslagefach fielen. Sie waren im Datenspeicher vergrößert und fertig kopiert worden, und er brauchte sie bloß herauszunehmen und zu lesen, ein vollständiges Dossier über jeden Sam Hall, lebendig oder tot, der seit Inbetriebnahme des Systems existiert hatte. Er überflog einige Blätter, dann steckte er sie in den Aufnahmeschlitz des Aktenverbrenners. Zum Teufel damit.
Ja, ich brachte einen um, sagen sie, sagen sie ...
Der Impuls war überwältigend in seiner plötzlichen Wildheit. Im Moment machten sie Jimmy fertig, schlugen ihn zusammen oder klemmten Elektroden an seine Ohren und Genitalien, und er, Thornberg, saß hier und wartete, daß die Fahndungsabteilung Jimmys Unterlagen anfordere, und er konnte nichts tun. Seine Hände waren leer.
Bei Gott, dachte er. Ich werde ihnen Sam Hall geben!
Sein Verstand und seine Finger begannen zu arbeiten. Das komplizierte technische Problem stellte ihn vor eine Herausforderung, die ihn seine Stimmung verdrießlicher Hilflosigkeit vergessen machte. Es war nicht einfach, eine falsche Speichertafel zu programmieren, komplett mit allen Dokumenten und ihren Nummern, die nicht doppelt vorkommen durften, und jeder Bürger hatte eine Menge von ihnen. Man mußte jede Station im Leben einer solchen fiktiven Gestalt überzeugend abdecken.
Nun, einige Details ließen sich vereinfachen. Die Datenverarbeitungsanlage der Aufzeichnungsstelle existierte erst seit fünfundzwanzig Jahren; vorher war das Material in Form papierener Akten auf Hunderte von Dienststellen verteilt gewesen. Er konnte Sam Hall zu einem Bewohner New Yorks machen, dessen Unterlagen beim Rassenkrieg vor dreißig Jahren verbrannt oder verlorengegangen waren. Das bedeutete, daß er bloß provisorische und keine vollständigen Angaben machen mußte.
Mal sehen. »Sam Hall« war ein englisches Lied, also sollte sein Sam Hall gleichfalls Brite sein. Kam mit seinen Eltern vor, sagen wir, achtunddreißig Jahren in die Staaten, als Dreijähriger, und wurde mit ihnen naturalisiert; das war vor dem totalen Einwanderungsstop. Wuchs in der Bronx auf, ein Junge aus den Slums, hart und gewitzt. Schulunterlagen verlorengegangen, behauptet aber, bis in die zehnte Klasse gekommen zu sein. Keine lebenden Verwandten. Ohne festen Beruf, arbeitete in verschiedenen angelernten Jobs. Loyalitätseinstufung BBA-O, was bedeutet, daß die üblichen Routinefragen gezeigt hatten, daß er überhaupt keine erwähnenswerten politischen Ansichten hatte.
Nein, das war zu farblos! In seinem Hintergrund fehlten die Delikte. Thornberg forderte Informationen über Sondereinsätze und Razzien der New Yorker Polizei vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren an und gebrauchte sie als Quelle für Eintragungen, aus denen hervorging, daß Sam Hall ständig Ärger mit der Polizei gehabt hatte Verwarnungen und Vorladungen wegen vermuteter Mitgliedschaft in einer Bande jugendlicher Automatenknacker. Später Trunkenheit, ordnungswidriges Benehmen, Teilnahme an Schlägereien, Verdacht des Rauschgifthandels, Einbruchdiebstahls und Raubüberfalls, doch konnte H. jedesmal ein Alibi vorweisen und entging so dem Verhör mit Psychodrogen.
Hmm. Vielleicht war es besser, man machte ihn dienstuntauglich. Grund? Nun, eine gewisse Neigung zu Rauschmitteln; heutzutage wurden Soldaten nicht so dringend benötigt, daß Säureköpfe geheilt werden mußten. Hasch und LSD – das beeinträchtigte die Fähigkeiten nicht zu sehr, und richtig suchterzeugend waren diese Sachen auch nicht.
Aber dann mußte man ihm eine Zivildienstzeit zuteilen. Mal sehen. Was war damals gemacht worden? Ja, er verbrachte seine zwei Jahre als Arbeiter beim Bau des
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