Das Phantom der Freiheit
einwandfreien Ruf und ging lachend über das hinweg, was die verbotenen Schriften oder Sendungen sagten.
Er setzte sich und betrachtete gedankenverloren das Kontrollpult mit den angeschlossenen Eingabe- und Ausdruckstationen.
Also los.
Es kostete Nerven, dieses Ding. Mehr als er gedacht hatte. Ein Verhör unter Drogeneinwirkung würde mit Sicherheit enthüllen, was zu tun er im Begriff war. Aber die Überprüfungen wurden in unregelmäßigen Abständen vorgenommen und hatten oft nur den Charakter von Stichproben; wahrscheinlich würde es Jahre dauern, bis er wieder an die Reihe käme, besonders mit seiner Loyalitätseinstufung. Bis sie schließlich darauf kämen, sollte Jack in der Flotte soweit aufgestiegen sein, daß es ihn nicht mehr gefährdete.
Thornberg, allein in der Abgeschiedenheit des Archivraums, erlaubte sich ein knappes Grinsen. »Diese Sache«, murmelte er der Maschine zu, »wird mir mehr schaden als dir.«
Er machte sich an die Arbeit.
Es war kein Problem, die Unterlagen einer bestimmten Person abzurufen, einzelne Fakten zu löschen und andere über die Eingabestation hineinzuschreiben. Thornberg hatte solche Veränderungen einige Male für hochgestellte Persönlichkeiten vorgenommen. Nun tat er es für sich selbst.
Jimmy Obrenowicz, Sohn seines Vetters, des Hochverrats verdächtig und bei Nacht von der Sicherheitspolizei abgeholt. Die Speichertafel zeigte, was kein gewöhnlicher Bürger wissen durfte: Jimmy war im Lager Fieldstone. Wer von dort zurückkam, war sehr still und sagte nichts über seine Erlebnisse. Mancher hatte sogar die Fähigkeit zu sprechen verloren.
Es sah nicht gut aus, wenn der Chef der Zentralen Aufzeichnungsstelle einen Verwandten als Häftling im Lager Fieldstone hatte. Eine halbe Stunde lang drückte Thornberg Knöpfe und Tasten und tippte Veränderungen ins Eingabegerät. Es war eine schwierige Arbeit – er mußte mehrere Generationen zurückgehen und die Abstammungslinien verändern. Aber als er fertig war, gab es keine irgendwie geartete Verwandtschaftsbeziehung zwischen Jimmy Obrenowicz und den Thornbergs.
Und ich hatte so viel von dem Jungen gehalten. Aber ich tue es nicht für mich selbst, Jimmy: jedenfalls nicht für mich allein. Es ist für Jack. Wenn sie in den nächsten Tagen deine Unterlagen prüfen, dürfen sie nicht herausbringen, daß du mit uns verwandt bist.
Nachdem er den Text auf der Speichertafel im Lesegerät noch einmal überprüft hatte, schickte er sie zurück in den Datenspeicher. Danach saß er eine Weile, genoß die Stille im Archivraum und beruhigte sich an der sauberen Unpersönlichkeit der Instrumente. Er wollte nicht einmal rauchen.
Nun wollten sie also jedem Bürger eine Nummer geben, wahrscheinlich in die Haut tätowiert. Eine Nummer für jeden und für alles.
Man konnte es verstehen. Die Untergrundbewegung war gefährlich. Sie wurde von anderen Ländern unterstützt, die unter den imperialistischen Allüren der Vormacht Amerika zu leiden hatten. Die Rebellen, so hieß es, hatten ihr Hauptquartier irgendwo in den unzugänglichen Gebirgsregionen Westkanadas und verfügten über weltweite Verbindungen und ein gut ausgebautes Agentennetz im ganzen Land. Es war möglich. Ihre Propaganda war subtil: Wir wollen die Nation nicht zerstören; wir wollen sie nur befreien. Wir wollen die verfassungsmäßigen Rechte wiederherstellen. Wir wünschen gute Beziehungen zu allen anderen Nationen auf der Basis der Gleichberechtigung und anerkennen das Selbstbestimmungsrecht für alle Völker. Präsident und Regierung vertreten nicht die Interessen der Bevölkerung; sie sind korrupt und tyrannisch. Unterdrückung im Inneren sowie Drohung und Gewalt nach außen sind ihre Mittel, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Wir wollen und werden diesen Kräften das Handwerk legen und Freiheit und Menschenwürde wiederherstellen.
Solche Töne konnten viele unstabile Typen anziehen, aber die Spionenjäger der Sicherheitspolizei waren überall und schlugen schnell und hart zu. Dabei kamen auch viele Bürger in die Mühlen der Verhöre, die nie an Verrat gedacht hatten. Wie Jimmy – oder war Jimmy wirklich ein Mann des Untergrunds gewesen? Man konnte es nie wissen.
In Thornbergs Mund war ein schlechter Geschmack. Ihm war, als habe er Jimmy mit seiner Tat feige im Stich gelassen. Er seufzte und schnitt eine verdrießliche Grimasse. Eine Zeile aus einem Lied kam ihm in den Sinn, und er überlegte, wie es geheißen hatte. In seiner Studentenzeit hatten sie es
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