Das Phantom im Netz
von David, dem Verwalter, hinauf und klingelte, obwohl ich wusste, dass ich ihn wachmachen würde. Eine schlaftrunkene Stimme rief: »Wer ist da?« Als ich nicht antwortete, öffnete er die Tür einen Spalt. »Oh. Hallo, Brian«, sagte er mit müder, genervter Stimme.
Ich tat mein Bestes, um meine Angst zu verbergen. »Haben Sie jemanden in meine Wohnung gelassen?«
Seine Antwort schlug ein. Damit hatte ich nicht gerechnet:
»Nein, aber die Bullen und der Geheimdienst haben Ihre Tür eingetreten. Die Polizei hat einen Durchsuchungsbefehl und eine Visitenkarte dagelassen und gesagt, Sie sollen sofort bei denen anrufen.«
Inzwischen war er wach genug, um wütend zu werden und fügte hinzu: »Die Tür werden Sie mir ersetzen!«
»Natürlich.«
Ich sagte, ich würde mich sofort bei der Polizei melden.
Schwitzend, mit einem bitteren Angstgeschmack im Mund und einem flauen Gefühl im Bauch raste ich die Treppen hinunter und die Straße entlang, immer auf verdächtige Autos, Bewegungen auf dem Dach oder andere Warnsignale lauernd.
Nichts. Niemand.
Eine kleine Hoffnung gab es: Wenn es die Polizei von Seattle und nicht das FBI war, dann suchten sie nach einem Brian Merrill, der unbefugte Mobilfunkgespräche getätigt hatte, nicht nach dem flüchtigen Hacker Kevin Mitnick.
Drews hatte gesagt, Polizei und Geheimdienst hätten meine Wohnung durchsucht und wären dann einfach wieder abgehauen. Bestimmt krempelten sie aber nicht meine Bude um, ohne anschließend in der Nähe auf der Lauer zu liegen, um auch die Verhaftung vorzunehmen.
Ich ging schnell weg, wagte jedoch nicht zu rennen. Der Hausverwalter hing sicher schon am Telefon und berichtete den Bullen, dass ich aufgetaucht war.
Zum Glück trug ich immer noch die Aktentasche bei mir, mit der ich Stunden zuvor das Haus verlassen hatte. Sie enthielt sämtliche Dokumente für neue Identitäten. Ich rechnete jeden Augenblick damit, einem Polizeiwagen oder Zivilfahrzeug der Bullen zu begegnen. Meine Einkaufstüte stopfte ich in irgendeine Mülltonne.
Mein Herz pochte immer heftiger. Ich lief so schnell ich konnte, ohne ins Traben zu geraten, und mied die großen Straßen, bis ich ein paar Blocks von meiner Wohnung entfernt war. Die ganze Zeit dachte ich an die Sachen in meiner Aktentasche, inklusive der beglaubigten Blanko-Geburtsurkunden aus South Dakota.
Ich konnte diese Dokumente nicht wegwerfen. Ich würde sie jetzt mehr denn je benötigen. Meine neue »bleibende« Identität hatte sich soeben in Luft aufgelöst und war für immer unbrauchbar. Ich klammerte mich also an die Aktentasche. Ich war sicher, dass mir ganz in der Nähe ein FBI-Team auflauerte. Vielleicht in einem der parkenden Autos? Hinter den Bäumen? Im nächsten Hauseingang?
Mein Mund war furchtbar trocken, als hätte ich seit Tagen nichts getrunken. Ich war so nervös, dass mir schon schwindlig wurde. Schweiß rann mir übers Gesicht.
Ich kam an einer Bar vorbei und ging rein, vollkommen aus der Puste und fehl am Platz zwischen dem lärmenden und lachenden Partyvolk, das sich dort betrank und amüsierte. Ich versteckte mich in einer Kabine auf der Männertoilette. Ich wollte meine Mutter anrufen, wagte aber nicht, mein Telefon zu benutzen, also blieb ich einfach dort hocken und ging meine Alternativen durch. Sollte ich ein Taxi rufen und so schnell wie möglich aus dem Viertel verschwinden? Der Geheimdienst fuhr bestimmt herum und suchte mich. Ich wollte einfach in der Menge verschwinden.
Als ich mich lange genug ausgeruht hatte, um wieder zu Atem zu kommen, trat ich wieder auf den Bürgersteig und hielt Ausschau nach einem Taxi. Ein Bus rollte vorbei.
Ein Bus! Der würde mich hier rausbringen.
Ich rannte, was das Zeug hielt, um ihn am nächsten Halt zu erwischen. Wohin er fuhr, spielte keine Rolle. Bloß weg hier.
Ich blieb eine Stunde darin sitzen, bis zur Endstation. Dort stieg ich aus und lief durch die klare Luft, um den Kopf freizubekommen.
Von einem Münztelefon in einem 7-Eleven rief ich Moms Pager an und schickte ihr Code 3: »Notfall«. Ich wartete. Sie musste ja erst aufstehen, sich anziehen, zu einem Casino fahren und mich anpagen, um mir mitzuteilen, wo sie war. Nach etwa vierzig Minuten vibrierte mein Pager und zeigte mir die Telefonnummer von Caesar‘s Palace an. Ich rief dort an, ließ meine Mutter ausrufen und wartete ungeduldig, dass sie abnahm.
Wie man sich vielleicht vorstellen kann, war es gar nicht so einfach, ihr zu erklären, dass ich beinahe verhaftet worden war und
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