Das Phantom im Netz
wochenlang meine Telefonate abgehört hatten. Ich dachte an die Gespräche mit meiner Mutter, die ich mehrmals pro Woche anrief: Sie nannte manchmal meinen Namen, wenn sie das Telefon im Casino abnahm. Aber das war ihnen offenbar entgangen. Sie mussten gewusst oder zumindest gespürt haben, dass ich nicht nur irgendein Teenager mit einem geklonten Handy war, aber sie hatten keine Ahnung von meiner wahren Identität. Wenn sie geahnt hätten, dass ich der Gesuchte Kevin Mitnick war, hätten sie meine Wohnung überwacht und die ganze Nacht auf mich gewartet.
Ich befürchtete, dass sie meine Anrufe mitgeschnitten oder gar Fotos von mir gemacht hatten. Sie hatten zumindest meine Stimme, deswegen rief ich Lewis an, um die Lage zu besprechen und den Schaden zu ermessen. Mir kam eine Idee. Lewis sollte einen der Ermittler anrufen und versuchen, etwas aus ihm herauszubekommen. Ich musste unbedingt wissen, ob sie Mitschnitte oder Fotos hatten.
Ich hörte das Gespräch mit, mein Handy war stumm geschaltet. Lewis rief den Ermittler an, einen gewissen Kevin Pazaski, und gab sich als Staatsanwalt Ivan Orton aus.
Pazaski sagte: »Wir haben morgen eine Besprechung in Ihrem Büro.«
Lewis nutzte die Gunst der Stunde und erwiderte: »Ja, unser Meeting steht, aber ich habe ein paar dringende Fragen.« Er erkundigte sich, ob es Mitschnitte gäbe. Pazaski verneinte – sie hätten Gespräche überwacht und Notizen gemacht, aber nichts aufgezeichnet.
Mann, war das eine Erleichterung! Als Nächstes fragte Lewis, ob sie Fotos von dem Verdächtigen hätten. Wieder lautete die Antwort nein. Gott sei Dank! Zum Schluss setzte Lewis noch einen drauf: »Gut, Kevin. Ich habe für morgen weitere Fragen vorbereitet. Bis dahin.«
Obwohl ich so neben der Spur war, mussten Lewis und ich laut loslachen, nachdem er aufgelegt hatte. Wir stellten uns vor, wie dieser Typ wohl reagieren würde, wenn er am nächsten Tag in dem wichtigen Meeting saß und merkte, dass er verarscht worden war. Dann würde es jedenfalls zu spät sein, um noch irgendetwas zu unternehmen. Ich jedenfalls hatte die Information, die ich brauchte.
Es war der Mühe wert gewesen. Auch aus den Dokumenten ging hervor, dass sie jemanden schnappen wollten, der einen Haufen unberechtigter Handytelefonate geführt hatte. Von Kevin Mitnick kein Wort.
Deshalb hatten sie auch nur eine Karte dagelassen, auf der stand, ich solle mich bei der Polizei von Seattle melden. Die Bullen hatten es als nicht lohnenswert erachtet, noch dazubleiben, nur um irgendeinen Studenten zu fangen, der herausgefunden hatte, wie man umsonst Handygespräche führte.
Unter anderen Umständen wäre ich vielleicht erleichtert gewesen.
Ich verließ Seattle in einem Greyhound-Bus Richtung Tacoma. Dort würde ich in einen Zug nach Portland steigen und dann das letzte Stück nach Los Angeles fliegen.
Unterwegs rief ich Ron Austin an und erzählte ihm, dass meine Wohnung durchsucht worden war. Wie sich später herausstellte, war das Telefonat mit Ron keine so gute Idee, denn wie Petersen war er in der Hoffnung auf Strafminderung zum Spitzel geworden. Er nahm unsere Gespräche auf und übergab die Bänder dem FBI, wobei er die ganze Zeit beide Seiten bediente: Er verhielt sich mir gegenüber freundschaftlich und verschaffte mir Zugang zur kalifornischen KFZ-Zulassungsstelle …und gleichzeitig kooperierte er mit der Polizei. Er war auf Kaution frei und sammelte für Special Agent McGuire & Co. Informationen über Lewis und mich. Zugegebenermaßen war es ein guter Schachzug von ihm, mein Vertrauen zu gewinnen, indem er mich in die Datenbank der Zulassungsstelle ließ.
In diesem Moment rief er seinen Kontaktmann beim FBI an und teilte ihm mit, dass der Typ, dessen Wohnung der Geheimdienst eben durchsucht hatte, in Wahrheit Kevin Mitnick war. Ich hatte ihm nicht gesagt, in welcher Stadt ich mich befand, aber ich bin sicher, der Secret Service brauchte nicht lange, um das herauszufinden.
(In einem Gespräch, das wir beide während der Niederschrift dieses Buches führten, verriet Austin mir noch ein interessantes Detail: Das FBI hatte meinen Pager geklont und fing meine Nachrichten ab, um die Nummer des öffentlichen Telefons und den Zeitpunkt meines Anrufs herauszubekommen. Anschließend versuchten die Agenten dann, meinen nächsten Anruf zu orten, hatten aber natürlich keine Ahnung, dass ich vollen Zugriff zu den Schaltstellen besaß, welche die von mir angerufenen Nummern kontrollierten. Außerdem war ich ständig
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