Das Phantom im Netz
mich nicht mehr in meine Wohnung traute. Ich sei ziemlich fertig, ja, aber es hätte schlimmer kommen können, sagte ich ihr. Schließlich könnte ich auch in einer Zelle hocken.
Nachdem wir aufgelegt hatten, suchte ich mir aus den Yellow Pages ein Motel heraus. Es lag im Stadtzentrum von Seattle nahe dem Pike Place Market, in dem der erste Starbucks eröffnet hatte. Ich rief ein Taxi und ließ den Fahrer an einem Geldautomaten halten, an dem ich den Höchstbetrag von 500 Dollar abhob.
In das Anmeldeformular des Motels trug ich den Namen Eric Weiss ein – meine alte Identität, für die ich noch Dokumente in meiner Brieftasche hatte.
Am nächsten Morgen würde ich hier abhauen, spurlos aus Seattle verschwinden – so hoffte ich.
Ich ging zu Bett, und es überfiel mich ein immenses Verlustgefühl. Ich besaß nur noch die Kleider, die ich am Leib trug, abgesehen von ein paar Sachen, die noch in der Reinigung waren, und eine Aktentasche mit Ausweisdokumenten. Alles andere war noch in der Wohnung.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf.
Die Durchsuchung hatte nachts stattgefunden. Ich hoffte, dass das FBI Feierabend gemacht hatte, nachdem es den Papierkram erledigt und sämtliches Beweismaterial gesichert hatte – und nicht etwa angefangen hatte, in meinem Computer oder meinen Unterlagen zu stöbern. Dann hätten die Agenten nämlich eine Quittung von der Reinigung und ein Scheckheft gefunden, das ihnen verraten hätte, wo ich mein Geld hortete.
Meine erste Station war die Reinigung, da diese sehr früh öffnete. Ich holte die Kleidungsstücke ab, die ich nun neben Jeans, Lederjacke und Hard-Rock-T-Shirt bei mir haben würde.
Die Bank öffnete um neun, und dreimal dürfen Sie raten, wer wohl als erster Kunde durch die Tür marschierte. Ich kündigte mein Girokonto – es waren nur etwa viertausend Dollar darauf, aber ich würde jeden Penny für meine erneute Abtauchaktion brauchen.
Die Polizei hatte meinen Laptop, meine Disketten, meinen zweiten Funkempfänger, Computerzubehör und unverschlüsselte Backup-Dateien mitgenommen. Es konnte nur ein paar Tage dauern, bis sie herausfanden, dass Brian Merrill, der Handy-Kloner, tatsächlich der meistgesuchte Hacker Kevin Mitnick war.
Oder wussten sie das schon?
Wer das Social Engineering einigermaßen beherrscht, kommt ohne größere Schwierigkeiten an die Antwort zu solchen Fragen.
Ich rief bei der Bezirksstaatsanwaltschaft an und fragte, welcher Staatsanwalt sich um IT-Betrug kümmere.
»Ivan Orton«, sagte man mir.
Ich rief Ortons Sekretärin an und erzählte ihr: »Hier spricht Special Agent Robert Terrance vom Secret Service. Haben Sie eine Kopie des Durchsuchungsbefehls und des Affidavits von dem Mobilfunk-Fall gestern Abend?«
»Nein, da müssen Sie in der Verwaltung anrufen.« Sie gab mir die Durchwahl.
Die Dame in der Verwaltung fragte mich nach der Adresse, an der die Durchsuchung stattgefunden hätte. Ich sagte es ihr, und sie meinte gleich: »Oh ja, hier ist es schon.«
»Prima. Ich bin gerade vor Ort. Können Sie mir bitte eine Kopie faxen?«
»Tut mir leid«, entgegnete sie. »Aber unsere Abteilung hat kein Faxgerät.«
Davon ließ ich mich nicht entmutigen. »Kein Problem«, sagte ich. »Ich rufe Sie zurück.«
Die Verwaltung hatte kein Faxgerät? Unglaublich. Wir sprechen hier von 1994, da hatte jeder ein Fax. Aber nein – Anrufe bei anderen Abteilungen im selben Gebäude ergaben, dass die Stadt Seattle offenbar kein Geld für Faxgeräte hatte.
Schließlich fand ich heraus, dass die juristische Bibliothek eines hatte. Als ich alle notwendigen Verabredungen getroffen hatte, lief die Bibliothekarin schon in die Verwaltung, um die Kopie des Affidavits zu holen und an den »Geheimdienstagenten« zu schicken, der das Papier benötigte. Ich ließ es zu einem Copyshop in Bellevue faxen, wartete, bis es dort angekommen sein musste, und holte es Minuten später von einem zweiten Kinko‘s Copyshop ab – alles in so kurzer Zeit, dass die Bullen keine Möglichkeit hatten, rechtzeitig aufzutauchen.
Ich setzte mich in ein Café und studierte das Affidavit Wort für Wort. Ich erfuhr, dass zwei Handybetrug-Ermittler mich seit mehreren Wochen beschattet hatten. Ich erinnerte mich, dass einmal ein Jeep auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt hatte, mit einem Mann darin. Dieser Mistkerl! Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht – er war einer der Ermittler. Die Aussagen in dem Durchsuchungsbefehl machten deutlich, dass diese Typen
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