Das Phantom im Netz
hatten, von ihm verurteilt zu werden, mit der Höchststrafe rechnen mussten, selbst wenn sie geständig waren. Killer Keller war der Blutrichter des Central Districts von Kalifornien. Er war der schlimmste Albtraum eines jeden Angeklagten.
Aber ich hatte Glück. Meine anderen Fälle wurden von Richterin Mariana Pfaelzer verhandelt, derselben Richterin, die für meine achtmonatige Einzelhaft verantwortlich gewesen war. Aber zumindest hatte sie keinen so schrecklichen Ruf wie Killer Keller. Da war ich gerade noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.
Mein Anwalt Randolph beantragte die Verweisung meines neuen Falles an Richterin Pfaelzer, die bereits die Mehrheit der anderen, älteren Anklagepunkte verhandelte. Da die Fälle miteinander in Zusammenhang standen, stimmte sie zu. Neun Monate, nachdem Anklage in den 25 kleineren Fällen aus Raleigh und wegen des Bewährungsverstoßes erhoben worden war, wurde endlich über sie entschieden. Ich bekam 22 Monate dafür. Zu dem Zeitpunkt war ich bereits 26 Monate in Haft. Mein Anwalt Randolph stellte sofort einen Antrag auf Haftprüfung, da nun auch eine Entlassung auf Kaution infrage kam. Der Oberste Gerichtshof hatte entschieden, dass jeder Angeklagte ein Recht darauf hatte, dass die Möglichkeit einer Entlassung auf Kaution geprüft wurde.
Als mein Anwalt Richterin Pfaelzer davon unterrichtete, dass er einen Haftprüfungstermin für die folgende Woche beantragt hatte, legte die Anklage Widerspruch ein und behauptete, es gäbe »ein hohes Fluchtrisiko« und ich stelle »eine Gefahr für die Allgemeinheit« dar. Die Richterin sagte: »Ich werde einer Kaution auf keinen Fall zustimmen, eine Anhörung dazu findet daher nicht statt. Streichen Sie den Termin.«
Viele hielten das für eine grobe Verletzung meiner Grundrechte. Mein Anwalt meinte, niemandem in der Geschichte der Vereinigten Staaten sei jemals eine Haftprüfung verweigert worden. Weder dem berüchtigten Hochstapler und Meister der Flucht Frank Abagnale jun. noch dem Serienmörder und Kannibalen Jeffrey Dahmer. Nicht einmal dem geistesgestörten Stalker und verhinderten Präsidentenmörder John Hinckley jun.
Aber es kam noch dicker, und meine Situation verschlechterte sich rapide weiter. Ein Angeklagter hat das Recht, die Beweise, welche die Anklage in der Verhandlung gegen ihn vorlegen will, in Augenschein zu nehmen. Aber die Staatsanwaltschaft legte dem Gericht immer wieder Gründe vor, warum sie meinem Anwalt nicht alle Beweise übergeben konnte. Der Großteil der Beweise lag in elektronischer Form vor – die Daten, die von meinen Computern, Disketten und unverschlüsselten Sicherungsbändern beschlagnahmt wurden.
Mein Anwalt bat die Richterin um die Erlaubnis, einen Laptop in den Besucherbereich des Gefängnisses bringen zu dürfen, damit er die elektronischen Beweise mit mir sichten konnte. Richterin Pfaelzer lehnte auch diesen Antrag ab mit der Begründung: »Das werden wir nie im Leben genehmigen.« Anscheinend glaubte sie, dass ich schon dadurch, dass ich vor einem Computer saß, selbst unter Aufsicht meines Anwalts, irgendwie großen Schaden anrichten konnte. (1998 gab es noch kein drahtloses Internet, also hätte ich keine Internetverbindung aus dem Hut zaubern können. Aber sie hatte ganz einfach zu wenig Ahnung von Computern, um zu wissen, ob ich eine Verbindung zur Außenwelt herstellen konnte.) Außerdem warnte die Anklage sie ständig davor, dass ich so Zugang zu firmeneigenem Quellcode der Opfer bekommen oder einen Computervirus schreiben könnte. Das Ergebnis war, dass wir keinen der elektronischen Beweise, auf denen die Anklage basierte, zu Gesicht bekamen. Als mein Anwalt beantragte, die Staatsanwaltschaft solle die Daten ausdrucken, meinte der Staatsanwalt, es seien so viele Daten, dass man mit ihnen den Gerichtssaal füllen konnte, und die Richterin lehnte es ab, den Ausdruck anzuordnen.
Als bekannt wurde, wie unfair ich in meiner misslichen Lage behandelt wurde, scharte Eric Corley einige Unterstützer um sich, die Artikel auf Websites veröffentlichten und meine Geschichte im Internet verbreiteten, Flugblätter verteilten und überall gelb-schwarze Aufkleber mit der Aufschrift »Free Kevin« anbrachten. Eric schickte mir ein paar davon sogar ins Gefängnis.
An meinem 35. Geburtstag saß ich im Metropolitan Detention Center in Los Angeles. Meine Unterstützer wollten mich besuchen, aber als Untersuchungsgefangener durfte ich nur Besuche von meinen nächsten Angehörigen und meinem
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