Das Phantom im Netz
verliert leicht den Kontakt zur Realität. Es ist der größte Albtraum, den man sich vorstellen kann.
Da wundert es nicht, dass alle Studien zum Thema zeigen, dass Einzelhaft von mehr als 60 Tagen psychische Schäden hinterlässt, die manchmal nicht mehr reversibel sind. Davor fürchtete ich mich. Sechs Jahre waren seit meiner letzten Einzelhaft vergangen, und ich hatte immer noch mit der Erinnerung daran zu kämpfen. Ich wollte schnellstmöglich dort raus.
Nach einer Woche Einzelhaft bot mir die Anklage einen Deal an. Man würde mich in den Regelvollzug verlegen, wenn ich auf meine Rechte verzichtete und einwilligte, dass
über eine Kaution nicht einmal verhandelt wurde,
es keine Voruntersuchung geben würde,
ich nur mit meinem Anwalt und einigen wenigen Angehörigen telefonieren durfte.
Wenn ich die Vereinbarung unterschrieb, sagte man mir, käme ich aus der Einzelhaft heraus. Ich unterschrieb.
Mein Anwalt in Los Angeles, John Yzurdiaga, und sein Partner, Richard Steingard, unterstützten mich bei der Aushandlung des Deals. Seit meiner Verhaftung in Raleigh widmeten die beiden ihre ganze Arbeitszeit unentgeltlich meinem Fall. John vertrat mich schon seit Ende 1992, als FBI-Agenten meine Wohnung in Calabasas durchsucht hatten, kostenlos als Anwalt.
Sobald ich wieder im Regelvollzug des Gefängnisses war, telefonierte ich mit John Yzurdiaga und Richard Steingard. Johns Stimme klang angespannt, wie ich es nie zuvor gehört hatte. Zu meiner Überraschung fragten sie mich als Erstes nach Staatsgeheimnissen. »Zu welcher Art vertraulicher Informationen genau hattest du Zugang? Hast du irgendwelche US-Nachrichtendienste gehackt?«
Als ich endlich kapierte, worauf sie hinauswollten, begann ich zu lachen. »Ja, genau. Ich bin ein Spion, der hinter Staatsgeheimnissen her ist!«, sagte ich.
Die beiden lachten nicht mit.
»Lüg uns nicht an, Kevin«, erwiderte John und klang beunruhigend ernst. »Du solltest uns jetzt besser alles sagen.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Kommt schon, Leute – ihr macht Witze, oder?«
Dann ließ Richard die Bombe platzen: »Der stellvertretende Staatsanwalt Schindler verlangt, dass du vom CIA verhört wirst.«
Was zum Teufel sollte das? Ja, ich hatte die bekanntesten Handyhersteller der Welt gehackt, verschiedene lokale Telefongesellschaften und Entwicklungseinrichtungen für Betriebssysteme überall im Land, aber ich hatte es nie bei einer Regierungsbehörde auch nur versucht. Wie kam das FBI auf die Idee? Die Anschuldigung war völlig unbegründet.
»Ich habe nichts zu verbergen«, seufzte ich. »Ich werde bei dem Verhör mitmachen, aber ich werde niemanden denunzieren.« Ich kannte niemanden, der sich in Systeme der Regierung oder des Militärs gehackt hatte, aber es verstieß grundsätzlich gegen meine ethischen und moralischen Prinzipien, den Spitzel für die Regierung zu spielen.
Es kam ohnehin nie zu der Vernehmung. Vielleicht war es nur ein Versuchsballon von Schindler oder dem Justizministerium gewesen. Ich dachte an Marty Stolz bei Intermetrics, der mir im Vertrauen erzählt hatte, dass der vom FBI gejagte Superhacker beim CIA eingedrungen war. Wahrscheinlich war es ein weiterer Auswuchs des Mythos.
Im Mittelalter hatten Zauberkünstler ziemliche Probleme wegen der Mythen, die sich um sie rankten. Manchmal wurden sie wegen dieser Mythen und des Aberglaubens sogar getötet. Ein umherreisender Zauberkünstler verblüffte die Dorfbewohner durch seine Tricks und Taschenspielereien. Da sie keine Ahnung davon hatten, wie die Tricks funktionierten, konnten sie den Umfang seiner Fähigkeiten nicht einschätzen. Sie hatten den Eindruck, dass er beliebig Dinge erscheinen und verschwinden lassen konnte. Das sollte ja auch so sein. Aber wenn irgendetwas schiefging, wenn ein paar Kühe starben, die Ernte schlecht war oder die kleine Sarah krank wurde, machte man gern den Zauberer dafür verantwortlich.
Unter anderen Umständen hätte ich es insgeheim genossen, »der meistgesuchte Hacker der Welt« zu sein und darüber gelacht, dass die Leute glaubten, ich sei eine Art Genie, das alles hacken konnte. Aber ich hatte so ein Gefühl, dass es mich teuer zu stehen kommen würde – und ich hatte recht damit. Der »Kevin-Mitnick-Mythos« würde mir noch einige Schwierigkeiten bereiten.
Wegen meines hohen Bekanntheitsgrades musste John Yzurdiaga kurz nach meiner Inhaftierung ein weiteres Mal einschreiten. Der Gefängnisdirektor öffnete meine gesamte Post, einschließlich der Briefe
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