Das Phantom im Netz
damals nicht einmal die Grenze nach Kanada oder Mexiko und schon gar nicht den Ozean. Das würde ich erst Jahre später tun. Aber es war wieder eines der Märchen, ein weiterer Teil der Legende, ein weiterer »Fakt«, der nie der Wahrheit entsprochen hatte, aber später dazu benutzt wurde, um Richter gegen mich aufzubringen.
Meine Gastgeber in Oroville, Jessie und Duke, waren Rentner und lebten auf einem kleinen Hof mitten auf dem Land. Sie waren nett, aber sehr festgefahren in ihren Gewohnheiten. Jeder Tag folgte einem festgelegten Ablauf: Um fünf Uhr morgens war die Nacht zu Ende, und es gab Maisbrot mit Milch zum Frühstück. Nach dem Abendessen sahen wir uns Gameshows im Fernsehen an. Kein Computer. Kein Modem. Kein Funkgerät. Ziemlich hart für jemanden wie mich, aber immer noch besser, als im Jugendknast zu sitzen.
Die beiden hielten Hühner und Schweine und hatten zwei Hunde. Für mich war es wie Ferien auf dem Land.
Mein Führerschein war natürlich auf meinen richtigen Namen ausgestellt, wie der Haftbefehl auch, also konnte ich in jener Zeit kein Auto fahren. Aber mit meinem neuen Fahrrad kam ich auch überall hin.
So fuhr ich zur Ortsbücherei und las dort stundenlang. Um mich irgendwie zu beschäftigen, meldete ich mich für einen Kurs im dortigen College an – in Strafrecht. Der Lehrer war Richter beim Bezirksstrafgericht. Er spielte uns im Kurs Tonbandaufnahmen von Vernehmungen vor und hielt uns dann Vorträge darüber, wie dumm es von den Tatverdächtigen war, ohne Anwalt mit der Polizei zu sprechen. Einmal sagte er: »Die meisten Kriminellen glauben, sie könnten sich irgendwie rausreden.« Ich lächelte und dachte daran, wie gut das meistens funktionierte. Und manchmal fragte ich mich amüsiert, was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass ein gesuchter Verbrecher auf der Flucht in seinem Kurs saß.
Meine Ferien auf dem Bauernhof dauerten vier Monate, bis mein Anwalt anrief und sagte, dass er eine Kopie meiner Entlassungspapiere von der Jugendbehörde bekommen hatte, die bestätigten, dass die Behörde nicht mehr für meinen Fall zuständig war. Der Anwalt wies mich darauf hin, dass es eine »unehrenhafte« Entlassung gewesen sei. Darüber konnte ich nur lachen. Wen interessierte das schon? Die ganze Sache war von Anfang an nicht ehrenhaft gewesen. Schließlich war das ja keine Entlassung aus dem Militär.
Wenige Tage später war ich zurück in Los Angeles und hatte das alte Kribbeln in den Fingern. Lenny DiCicco arbeitete inzwischen als EDV-Fachmann bei Hughes Aircraft und freute sich schon darauf, mich zu sehen. Er hatte eine ganz besondere Überraschung für mich, über die er aber am Telefon nicht sprechen wollte. Ich konnte es kaum erwarten zu erfahren, was es war.
Sechs
Biete Hacken gegen Liebe
Kyoo olxi rzr Niyovo Cohjpcx ojy dn T apopsy?
B ei Hughes Aircraft hatte sich Lenny DiCicco mit einer Frau vom Sicherheitsdienst angefreundet. Ich sollte an einem Abend, an dem diese Frau Dienst hatte, zu Lennys Arbeitsplatz kommen und sagen, ich sei ein Mitarbeiter von DEC. Ich musste mich nicht ausweisen, und als ich mich in die Besucherliste eintrug, zwinkerte sie mir sogar zu.
Lenny holte mich in der Lobby ab und freute sich sichtlich, aber er war immer noch arrogant und eingebildet. Er führte mich zu einem Firmencomputer, der Zugang zum Arpanet hatte, einem Netzwerk, das einige Universitäten, Forschungslabore und öffentliche Auftragnehmer miteinander verband. Er tippte einige Befehle ein und erklärte mir, dass er gerade auf ein Computersystem, das Dockmaster, zugriff, welches dem National Computer Security Center (NCSC) gehörte, einem öffentlichen Ableger der supergeheimen Nationalen Sicherheitsbehörde (NSA). Wir waren aufgeregt. Noch nie waren wir der NSA so nahe gekommen.
Lenny musste natürlich mit seinen Social-Engineering-Fähigkeiten angeben. Er hatte sich als Mitarbeiter des IT-Teams des NCSC ausgegeben und so einem T. Arnold, der tatsächlich dort arbeitete, dessen Zugangsdaten zum System entlockt. Lenny platzte praktisch vor Stolz. Er war immer noch ein Geek und schien regelrecht high von seinem Erfolg zu sein: »Ich bin genauso gut im Social Engineering wie du, Kevin!«
Wir stöberten fast eine Stunde lang im System herum, fanden aber nichts Interessantes. Doch diese eine Stunde sollte später noch Folgen für mich haben.
Ich glaubte fest daran, dass mir meine Computerkenntnisse irgendwie dabei helfen würden, meinen persönlichen Traumjob an Land zu ziehen: eine
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