Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
Vom Netzwerk:
wäre höchst unüblich, Madame... ich bin noch nie...«
    »Bitte, Monsieur le Notaire. Das Gold reicht hoffentlich aus? Für fünf Wochen Abwesenheit aus Ihrer Kanzlei?«
    »Es ist mehr als genug, aber …«
    »Mein Kind, Sie wissen doch gar nicht, ob dieser Mann noch lebt.«
    »Oh, er hat bestimmt überlebt, Pater. Er wird immer überleben.«
    »Aber seine Anschrift ist nicht angegeben. Wo soll ich ihn finden?«
    »Fragen Sie, Monsieur Dufour. Fragen Sie bei der Einwanderungsbehörde nach. Sein Name ist selten genug. Irgendwo finden Sie ihn. Einen Mann, der eine Maske trägt, um sein Gesicht zu verbergen.«
    »Also gut, Madame, ich werd’s versuchen. Ich fahre hin und versuche es. Aber ich kann Ihnen keinen Erfolg garantieren.«
    »Danke. Sagen Sie es mir, Pater, hat eine der Schwestern mir einen Teelöffel eines in Wasser aufgelösten weißen Pulvers gegeben?«
    »Nicht in der Zeit, die ich an Ihrem Bett verbracht habe, ma fille. Warum?«
    »Es ist seltsam, aber die Schmerzen sind weg. Solch
wundervolle, süße Erleichterung! Ich kann seitlich nichts erkennen, aber ich sehe eine Art Tunnel und einen Bogen. Ich habe solche Schmerzen gehabt, aber jetzt tut mir nichts mehr weh. Mir war so kalt, aber jetzt ist’s überall warm.«
    »Bitte beeilen Sie sich, Monsieur l’Abbé. Sie verläßt uns.«
    »Danke, Schwester. Ich weiß, was meine Pflicht ist, hoffe ich.«
    »Ich schreite auf den Bogen zu, hinter dem es hell ist. So wundervolles Licht … Oh, Lucien, bist du da? Ich komme, mein Liebster.«
    »In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti...«
    »Beeilen Sie sich, Pater.«
    »Ego te absolvo ab omnibus peccatis tuis.«
    »Danke, Pater.«

2
    DIE KLAGE DES ERIK MÜHLHEIM
    Penthouse Suite, E. M. Tower, Park Row,
Manhattan, Oktober 1906
     
     
     
     
     
    I ch stehe jeden Tag früh auf, sommers wie winters, bei Regen oder Sonnenschein. Ich kleide mich an und komme aus meiner Wohnung auf diese kleine quadratische Plattform auf der Spitze des höchsten Wolkenkratzers in ganz New York. Von dort aus kann ich, je nachdem, an welcher Seite des Quadrats ich stehe, nach Westen über den Hudson River aufs unbebaute grüne Land von New Jersey blicken. Oder nach Norden auf die Stadtviertel Midtown und Uptown dieser erstaunlichen Insel, die so voller Reichtum und Schmutz, Extravaganz und Armut, Laster und Verbrechen ist. Oder nach Süden aufs offene Meer, das nach Europa und zu der elenden Straße zurückführt, die ich gekommen bin. Oder nach Osten über den Fluß auf Brooklyn und die im Seenebel liegende verrückte Enklave namens Coney Island, der ursprünglichen Quelle meines Reichtums.
    Und ich, der ich sieben Jahre lang von einem gefühlskalten
Vater terrorisiert worden bin, neun wie ein Tier in einem Käfig angekettet verbracht habe, elf als Ausgestoßener in den Kellern unter der Pariser Oper gehaust und zehn gebraucht habe, um mich von den Schuppen an der Gravesend Bay, in denen Fische ausgenommen wurden, bis hier herauf hochzuarbeiten, weiß jetzt, daß ich Reichtum und Macht besitze, von denen Krösus nur hätte träumen können. Deshalb blicke ich auf diese ausufernde Stadt hinunter und denke: Wie ich dich hasse und verabscheue, Menschheit.
    Es war eine lange, beschwerliche Reise, die mich in den ersten Tagen des Jahres 1894 hierherbrachte. Auf dem Atlantik tobten wilde Stürme. Ich lag todkrank in meiner Koje - meine Überfahrt war von dem einzigen freundlichen Menschen, den ich jemals gekannt habe, vorausbezahlt -, ertrug den Spott und die Beleidigungen der Matrosen, weil ich wußte, daß sie mich blitzschnell über Bord werfen konnten, ohne daß irgend jemand davon erfuhr, wenn ich versuchte, mich dagegen zu wehren; und nur meine Wut und mein Haß auf sie alle hielten mich aufrecht. Vier Wochen lang rollten und stampften wir übers Meer, bis der Seegang in einer bitterkalten Nacht Ende Januar abnahm und wir auf der Reede einige Meilen vor der Südspitze von Manhattan Island vor Anker gingen.
    Davon wußte ich nichts, außer daß wir angekommen waren. Irgendwo. Aber ich hörte die Matrosen in ihrem harten bretonischen Dialekt darüber sprechen, daß wir bei Tagesanbruch den East River hinauffahren
und bei der Zollinspektion anlegen würden. Dann lief ich Gefahr, entdeckt zu werden - bloßgestellt, gedemütigt, als Einwanderer abgewiesen und in Ketten zurückgeschickt.
    Irgendwann nach Mitternacht, als alle schliefen, auch die betrunkene Nachtwache, holte ich aus dem Kasten an Deck eine schimmelige Schwimmweste

Weitere Kostenlose Bücher