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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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hinaus gereift. Anders als die meisten von uns war er körperlich nicht entstellt, nicht verkrüppelt. Er hatte ein leichenblasses Gesicht mit schwarzen, ausdruckslosen Augen, kam aus Malta und hatte dort eine gute Schulbildung bei den katholischen Patres genossen. Er sprach fließend englisch, konnte Latein und Griechisch und war absolut skrupellos. Er war hier, weil er im Zorn wegen der ihm von den Patres auferlegten endlosen Bußen ein Küchenmesser ergriffen und es seinem Präfekten in die Brust gestoßen hatte, worauf dieser tot zusammengebrochen war. Auf der Flucht war er von Malta zur Barbarenküste gelangt, hatte einige Zeit als Lustknabe in einem Männerbordell gearbeitet und sich dann als blinder Passagier an Bord eines Schiffes geschlichen, dessen Weg zufällig nach New York führte. Aber da er noch immer steckbrieflich gesucht wurde, hatte er die Einwandererkontrolle auf Ellis Island gemieden und war auf verschlungenen Pfaden auf der Gravesend Bay gelandet.
    Ich brauchte einen Strohmann, der bei Tag meine Aufträge ausführte, damit wir beide aus dieser elenden Umgebung herauskamen. Er wurde mein Untergebener und in allen Bereichen mein Sachwalter. Gemeinsam haben wir es geschafft, es zu Reichtum und Macht über halb New York und weit darüber hinaus zu bringen. Bis zum heutigen Tag kenne ich ihn nur als Darius.

    Aber falls ich ihm etwas beigebracht habe, hat er auch mich etwas gelehrt, indem er mich von meinem alten törichten Glauben abgebracht und dazu bekehrt hat, den einzigen und wahren Gott zu verehren - den Großen Meister, der mich noch nie im Stich gelassen hat.
    Das Problem, wie ich mich bei Tageslicht in der Öffentlichkeit bewegen konnte, wurde höchst einfach gelöst. Im Sommer 1894 ließ ich mir von Ersparnissen, die ich beim Fischausnehmen zusammengekratzt hatte, von einem Maskenbildner eine Latexmaske anfertigen, die nur Mund- und Augenöffnung besaß. Eine Clownsmaske mit roter Knollennase, breitem Grinsen und Zahnlücken. Mit übergroßer Jacke und ausgebeulter karierter Hose konnte ich mich frei auf den Rummelplätzen bewegen, ohne jemals Verdacht zu erregen. Eltern mit Kindern winkten mir sogar lächelnd zu. Das Clownskostüm war mein Passierschein in die Tageswelt. Zwei Jahre lang scheffelten wir Geld. Es gab so viele Schwindeleien und Betrügereien, daß ich gar nicht mehr weiß, wie viele davon ich selbst erfunden habe.
    Die einfachsten waren oft die besten. Ich fand heraus, daß die Ausflügler von Coney Island aus jedes Wochenende zweihundertfünfzigtausend Postkarten verschickten, und sie versuchten, dafür irgendwo Briefmarken zu erstehen. Also erwarb ich Postkarten für ein Cent das Stück, stempelte PORTO BEZAHLT darauf und verkaufte sie für zwei. Die Touristen waren zufrieden. Sie wußten nicht, daß ihre Postkarten von hier ohnehin kostenlos befördert wurden.
Aber ich wollte mehr, viel mehr. Ich ahnte einen bevorstehenden Boom auf dem Gebiet der Massenunterhaltung voraus, der uns die Chance zum Geldscheffeln verschaffen würde.
    In diesen ersten eineinhalb Jahren erlitt ich nur einen, allerdings gravierenden Rückschlag. Als ich mich eines Nachts mit einer Tasche voller Dollarscheine auf dem Heimweg zu meiner Behausung befand, wurde ich von vier Straßenräubern mit Knüppeln und Schlagringen überfallen. Hätten sie mich nur ausgeraubt, wäre das schlimm, aber nicht lebensbedrohlich gewesen. Aber sie rissen mir die Clownsmaske herunter, sahen mein Gesicht und schlugen mich fast tot.
    Es dauerte einen Monat, bis ich wieder gehen konnte. Seit damals trage ich ständig einen kleinen Colt Derringer bei mir, weil ich mir auf meinem Krankenlager geschworen habe, mich niemals wieder von irgend jemandem verletzen und ihn dann ungestraft davonkommen zu lassen.
    Als der Winter kam, hörte ich von einem Mann namens Paul Boyton. Dieser hatte vor, den ersten überdachten, wetterfesten Vergnügungspark der Insel zu eröffnen. Ich wies Darius an, sich mit ihm zu treffen und als frisch aus Europa eingetroffener, begabter Konstrukteur vorzustellen. Das klappte wie geplant. Boyton erteilte ihm den Auftrag, eine Serie von sechs Fahrgeschäften für sein neues Unternehmen zu liefern. Natürlich konstruierte ich sie, indem ich optische Täuschung und technisches Geschick einsetzte, um bei den Touristen, die davon begeistert waren,
Verwirrung zu stiften. Boyton eröffnete den Sea Lion Park 1895, und die Massen strömten herbei.
    Boyton wollte Darius für »seine« Erfindungen entlohnen, aber

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