Das Phantom von Manhattan - Roman
Industriezweigs schuf Bedarf an Rohstoffen, aber auch an Schiffen und Eisenbahnen, die diese transportierten und die fertigen Produkte auf die Märkte brachten.
In den Jahren, die ich auf Coney Island verbracht hatte, waren Einwanderer aus aller Welt zu Millionen ins Land geströmt. Die Lower East Side, fast unter meiner Terrasse, wenn ich jetzt hinabschaue, war und ist ein riesiger Schmelztiegel, in dem Menschen aller Rassen und Religionen dichtgedrängt in Armut miteinander hausen, Gewalt, Laster und Verbrechen ausgesetzt. Nicht weit davon entfernt haben die Superreichen ihre Villen, ihre Kutschen und ihre geliebte Oper.
Bis 1903 hatte ich nach einigen Rückschlägen die Finessen der Börse durchschaut und herausgefunden, wie die Finanzgiganten, etwa Pierpoint Morgan, zu ihrem Vermögen gekommen waren. Wie sie investierte ich in Kohle in West Virginia, Stahl in Pittsburgh, Eisenbahnen nach Texas, in Reedereien, deren Frachtschiffe die Route Savannah-Baltimore-Boston bedienten, Silber in New Mexico und Immobilien auf Manhattan Island. Aber ich wurde durch unbeirrbare Anbetung des einzigen und wahren Gottes, zu dem Darius mich bekehrt hatte, besser und skrupelloser als sie. Denn Mammon, der Gott des Goldes, kennt keine Barmherzigkeit, keine Mildtätigkeit und kein Mitleid. Es gibt niemanden, keine Witwe, kein Kind, kein armes Mädchen, aus dem sich nicht noch etwas herauspressen ließe, um den Meister zu erfreuen.
Gold bringt Macht, und mit der Macht kommt automatisch immer mehr Gold - ein Kreislauf, der die ganze Welt erfaßt.
Auf allen Gebieten bin und bleibe ich Darius’ Herr und Meister - bis auf eines. Niemals hat es auf diesem Planeten einen kälteren oder grausameren Menschen gegeben als ihn. In dieser Beziehung übertrifft er mich. Und trotzdem hat er eine Schwäche. Nur eine. Weil mich seine seltenen Abwesenheiten neugierig gemacht hatten, habe ich ihn in einer bestimmten Nacht beschatten lassen. Er hat im Mohrenviertel eine Lasterhöhle aufgesucht und dort Haschisch geraucht, bis er in eine Art Trance gefallen war. Anfangs habe ich geglaubt, er könnte mein Freund werden, aber ich weiß schon lange, daß es für ihn nur eins gibt: die Anbetung des Goldes. Sie beschäftigt ihn Tag und Nacht, und er bleibt nur bei mir, weil ich es in unerschöpflicher Menge herbeischaffen kann.
Im Jahr 1903 hatte ich genug zusammengerafft, um den höchsten Wolkenkratzer New Yorks, den E. M. Tower, auf einem freien Grundstück in der Park Row erbauen zu lassen. Er wurde 1904 fertiggestellt: vierzig Geschosse aus Stahl, Beton, Granit und Glas. Und das wirklich Erfreuliche daran ist, daß die Vermietung der siebenunddreißig Stockwerke unter mir die Baukosten gedeckt hat, während der Wert des Gebäudes seither um das Doppelte gestiegen ist. Von den restlichen Geschossen enthält eines die Büros der Angestellten meiner Firma, die durch Telefon und Börsenfernschreiber mit den Märkten verbunden
sind; das nächste darüber wird zur Hälfte von Darius’ Apartment und zur Hälfte vom Konferenzraum des Verwaltungsrats eingenommen; und über allem befindet sich mein eigenes Penthouse mit seiner Hochterrasse, von der aus ich alles sehen kann und die zugleich garantiert, daß ich selbst unsichtbar bleibe.
Also... mein Käfig auf Rädern, meine finsteren Keller haben sich in diesen Adlerhorst am Himmel verwandelt, in dem ich mich unmaskiert bewegen kann. Und von dort aus kann ich auch das glänzende Dach des einzigen Luxusbauwerks sehen, das ich mir gegönnt habe - meines einzigen Projekts, das nicht dazu dient, mehr Geld zu scheffeln, sondern meine Rachegelüste zu befriedigen.
In weiter Ferne steht in der West 43 th Street das kürzlich fertiggestellte Manhattan Opera House, ein Konkurrenzbau, der die Metropolitan mit ihrer Arroganz ausstechen wird. Als ich nach New York kam, wollte ich wieder Opern hören, aber dazu hätte ich natürlich in der Met eine Loge mit Vorhängen gebraucht. Der dortige Ausschuß, der von Mrs. Astor und ihren Freunden aus der Prominentenliste, den verdammenswerten Four Hundred, beherrscht wird, verlangte mein persönliches Erscheinen zu einem Vorstellungsgespräch. Das war natürlich nicht möglich. Ich schickte Darius hin, aber sie weigerten sich, ihn als meinen Stellvertreter zu akzeptieren, sondern bestanden darauf, mich persönlich kennenzulernen. Für diese Beleidigung werden sie teuer bezahlen, denn ich habe einen weiteren Opernliebhaber gefunden, der ebenfalls abgewiesen worden ist. Oscar
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