Das Phantom von Manhattan - Roman
Brief zuzustellen hatte, und hast ihm geholfen, das zu bewerkstelligen. Tolle Sache. Aber bitte keine Gespenster. Eben hat mich der Präsident der E. M. Corporation, ein gewisser Mr. Darius, angerufen und mir mitgeteilt, daß du heute abend bei ihm gewesen bist, ihm persönlich einen Brief übergeben hast und dann durchgedreht und irgendwas von Erscheinungen an den Wänden herumgeschwafelt
hast. Er ist für den Brief dankbar, hat aber gedroht, uns zu verklagen, wenn du seine Firma auch nur im geringsten in Mißkredit bringst. Übrigens haben die Bullen gerade den Mörder aus dem Central Park geschnappt. Auf frischer Tat ertappt. Fahr hin und mach dich nützlich.«
Also ist nicht ein Wort darüber gedruckt worden. Aber ich sage euch, Jungs, ich bin nicht verrückt, und ich bin nicht betrunken gewesen. Ich habe das Gesicht an der Wand wirklich gesehen. Hey, ihr trinkt hier mit dem einzigen Kerl in New York, der das Phantom von Manhattan jemals leibhaftig gesehen hat.
5
DIE TRANCE DES DARIUS
The House of Hashish, Lower East Side,
Manhattan, New York City,
November 1906
I ch spüre, wie der Rauch von mir Besitz ergreift, sanfter, verführerischer Rauch. Hinter geschlossenen Augen kann ich diesen schäbigen, heruntergekommenen Slum verlassen und allein durch die Tore der Erkenntnis ins Reich des Gottes eintreten, dem ich diene.
Der Rauch verzieht sich... der lange Flur mit Boden und Wänden aus massivem Gold. Oh, die Freuden des Goldes. Es zu berühren, zu liebkosen, zu fühlen, zu besitzen. Und es ihm zu bringen, dem Gott des Goldes, der einzig wahren Gottheit.
Seit der Barbarenküste, wo ich ihm erstmals begegnet bin - ich, ein zu Höherem berufener Lustknabe, stets auf der Suche nach mehr Gold, das ich ihm bringen kann, und nach dem Rauch, der mich zu ihm führt …
Ich betrete den großen goldenen Saal, in dem die Schmelzöfen tosen und die goldenen Ströme frisch
und endlos aus den Hähnen fließen … Wieder Rauch, der Rauch der Schmelzöfen, der sich mit dem in meinem Mund, meiner Kehle, meinem Blut, meinem Gehirn vermengt. Und aus diesem Rauch wird er wie jedesmal zu mir sprechen...
Er wird mir zuhören, mir mit seinem Rat beistehen, und er wird wie immer recht haben... Er ist jetzt hier, ich spüre seine Gegenwart... »Meister, großer Gott Mammon, ich liege vor dir auf den Knien. Ich habe dir in all diesen Jahren nach besten Kräften gedient und meinen irdischen Arbeitgeber und all seine phantastischen Reichtümer vor deinen Thron gebracht. Ich bitte dich, mich anzuhören, denn ich bedarf deines Rats und Beistands.«
»Ich höre dich. Was bedrückt dich?«
»Der Mann, dem ich auf Erden diene … er hat sich auf eine Weise verändert, die ich nicht begreifen kann.«
»Erkläre dich näher.«
»Seit ich ihn kenne, seit ich den ersten Blick auf dieses grausige Gesicht geworfen habe, ist er nur von einem Gedanken besessen gewesen, den ich in jedem Stadium gefördert und genährt habe. In einer Welt, die ihm gegenüber immer feindselig eingestellt war, hat er nur Erfolg gesucht. Ich bin es gewesen, der diese Besessenheit kanalisiert und ihn so zu deinem Diener gemacht hat. Nicht wahr?«
»Du hast brillante Arbeit geleistet. Sein Reichtum wächst mit jedem Tag, und du sorgst dafür, daß er in meinen Diensten bleibt.«
»Aber in letzter Zeit, Meister, beschäftigt eine
andere Besessenheit ihn mehr und mehr. Er vergeudet damit Zeit und - noch schlimmer - auch Geld. Er denkt nur an die Oper. Mit Opern ist kein Geld zu verdienen.«
»Das weiß ich. Eine unnütze Ausgabe. Wieviel von seinem Vermögen opfert er für diesen Fetisch?«
»Bisher nur einen winzigen Bruchteil. Aber ich fürchte, daß ihn das von dem Streben abbringt, dein Gold zu vermehren.«
»Hört er auf, Geld zu verdienen?«
»Ganz im Gegenteil. Auf diesem Gebiet ist alles beim alten. Die originellen Ideen, die großen Strategien, der außergewöhnliche Scharfsinn, der mir manchmal wie Hellseherei erscheint, sie alle sind unverändert da. In den Augen der Welt bin ich es, der die großen Übernahmen durchführt, um durch Investitionen und Zusammenschlüsse ein ständig wachsendes Imperium zu schaffen. Ich bin es, der die Hilflosen und die Schwachen vernichtet und sich an ihrem Niedergang ergötzt. Ich bin es, der die Mieten in den Mietskasernen der Slums erhöht, der den Abriß von Wohnhäusern und Schulen anordnet, damit Fabriken und Rangierbahnhöfe entstehen können. Ich bin es, der die Stadtverwaltung besticht
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