Das Phantom von Manhattan - Roman
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Seit nunmehr einem Monat macht Mr. Hammerstein der australischen Diva in ihrer Residenz in Garniers Grand Hôtel - von demselben Genie erbaut wie die Pariser Oper, in der Dame Nellie schon so oft aufgetreten ist - immer wieder seine Aufwartung. Anfangs weigerte sie sich noch. Er bot ihr fünfzehnhundert Dollar pro Abend - man stelle sich das vor! Sie lehnte trotzdem ab. Er rief durchs Schlüsselloch ihres Badezimmers, um sein Angebot nochmals zu erhöhen: auf zweitausendfünfhundert Dollar. Unglaublich. Dann auf dreitausend - in einem Haus, in dem Ballettänzerinnen fünfzehn Dollar pro Woche oder drei pro Vorstellung erhalten.
Schließlich drang er in ihren Privatsalon im Grand Hôtel ein und begann, Tausendfrankenscheine über den Fußboden zu verstreuen. Trotz ihrer Proteste machte er weiter und stürmte dann hinaus. Als Dame Nellie das viele Geld zählte, kam sie auf hunderttausend französische Francs oder zwanzigtausend Dollar, die er auf dem Perserteppich zurückgelassen hatte. Meinen Informationen zufolge ist das Geld jetzt bei den Rothschilds in der Rue Lafitte deponiert,
aber der Widerstand der Melba ist gebrochen. Sie kommt! Schließlich war sie früher einmal die Frau eines australischen Farmers und hat sicher einen Blick für schurreife Schafe.
Das allein schon würde ausreichen, um Herzanfälle in dem Gebäude Ecke Broadway und 39 th Street zu verursachen, über das Mr. Conreid herrscht. Aber es geht noch weiter. Denn Mr. Hammerstein hat keinen Geringeren als Alessandro Bonci, der seinem Rivalen Enrico Caruso in nichts nachsteht, für die Tenorpartie in der Eröffnungspremiere am dritten Dezember engagiert. Zur Unterstützung Signor Boncis stehen weitere große Namen wie Amadeo Bassi und Charles Dalmores ebenso auf der Besetzungsliste wie die Baritone Mario Ancona und Maurice Renard und die Sopranistin Emma Calve.
Man möchte meinen, daß nicht einmal Mr. Hammersteins Reichtum ausreicht, um ihm solche Extravaganzen zu erlauben. Manch einer munkelt, hinter ihm müsse ein unsichtbarer Geldgeber stehen, der Anweisungen gebe, im Hintergrund die Fäden ziehe und notwendigerweise auch die Rechnungen begleiche. Aber wer ist dieser unsichtbare Zahlmeister, dieses Phantom von Manhattan? Wer er auch sein mag - jetzt hat er sich in seinen Bemühungen, uns zu verwöhnen, selbst übertroffen. Denn wenn es einen Namen gibt, der auf Nellie Melba wie ein rotes Tuch auf einen Stier wirkt, dann ist es der ihrer einzigen Rivalin, der jungen, atemberaubend schönen französischen Aristokratin Christine de Chagny, die in ganz Italien als La Divina bekannt ist.
Was, höre ich Sie schon entsetzt ausrufen, sie kommt doch nicht etwa auch? Doch, sie kommt. Und das ist ein Rätsel, ein zweifaches Rätsel.
Denn auch La Divina hat sich wie Dame Nellie Melba bisher stets geweigert, den Atlantik zu überqueren, weil ihr eine solche Reise als zu beschwerlich und zeitraubend erschien. Aus diesem Grund haben beide die Met noch nie mit ihrer Anwesenheit beehrt. Aber während Dame Nellie sich offenbar durch die von Mr. Hammerstein gebotene astronomische Summe hat umstimmen lassen, ist die Vicomtesse de Chagny für ihre völlige Unempfindlichkeit den Verlockungen des Geldes gegenüber bekannt.
Wenn Greenbacks der Grund für das Kommen der australischen Diva waren, durch welche Argumente hat sich dann die französische Aristokratin überzeugen lassen? Das wissen wir nicht - noch nicht.
Das zweite Rätsel gibt uns die plötzliche Änderung im Spielplan des neuen Manhattan Opera House auf. Bevor Mr. Hammerstein nach Paris reiste, um die berühmtesten Diven der Welt zu engagieren, hatte er angekündigt, das Haus am dritten Dezember mit einer Vorstellung von Bellinis I Puritani zu eröffnen.
Der Bau des Bühnenbildes hatte bereits begonnen, und die Programme waren beim Drucker in Auftrag gegeben. Nun höre ich, daß der unsichtbare Zahlmeister auf einer Änderung bestanden hat. I Puritani sind abgesetzt. Statt dessen eröffnet das Manhattan mit einer ganz neuen Oper eines unbekannten und sogar anonymen Komponisten. Das ist ein gewaltiges, noch nie dagewesenes Risiko. Wahrhaft erstaunlich!
Welche der beiden Primadonnen wird in diesem unbekannten neuen Werk den Hauptpart singen? Das können nicht beide zugleich. Welche wird als erste eintreffen? Welche wird mit Bonci unter der temperamentvollen Stabführung eines weiteren Stars, des Dirigenten Cleofonte Campanini, singen? Das
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