Das Phantom von Manhattan - Roman
große Story. Ist mir gestern passiert. Muß ich euch unbedingt erzählen. Danke, Barney.
Ich bin in diesem Coffee Shop gewesen. Ihr kennt Fellini’s? Broadway und Twenty-Sixth. Ein schlimmer Tag. Hab’ den größten Teil damit verbracht, eine neue Spur wegen der Morde im Central Park zu verfolgen, aber dabei ist nichts rausgekommen. Das Büro des Oberbürgermeisters setzt dem Bureau of Detectives zu, dessen Leute keine Neuigkeiten haben und daher schlecht gelaunt sind und nichts von sich geben, was sich zu drucken lohnte. Ich mache mich also darauf gefaßt, in die Lokalredaktion zurückzugehen und zugeben zu müssen, daß ich nichts habe, was auch nur’ne einzöllige Spalte füllen könnte. Also beschließe ich, daß ich kurz einkehre und einen von Papa Fellinis Eisbechern mit Waffeln und Früchten essen werde. Mit reichlich Ahornsirup. Kennt ihr den? Der baut einen richtig auf.
Der Laden ist ziemlich voll. Ich setz’ mich in die letzte freie Nische. Zehn Minuten später kommt ein Kerl rein, der so elend wie die Sünde aussieht. Er schaut sich um, stellt fest, daß ich eine Nische für mich allein habe, und kommt rüber. Sehr höflich. Verbeugt sich. Ich nicke. Er sagt etwas in einer ausländischen Sprache. Ich deute auf den freien Stuhl. Er setzt sich und bestellt einen Kaffee. Nur spricht er ihn nicht Coffee aus, sondern sagt Kaffay. Der Kellner ist Italiener, daher macht ihm das nichts aus. Aber ich vermute, daß dieser Kerl Franzose ist.
Warum? Er sieht einfach wie ein Franzose aus. Als höflicher Mensch begrüße ich ihn also. Und wie? Auf französisch.
Ob ich Französisch kann? Ist der Oberrabbiner Jude? Okay, schon gut, ein bißchen Französisch. Also sage ich zu ihm: »Bon-jewer, Mon-sewer.« Ich versuche bloß, ein höflicher New Yorker zu sein.
Nun, daraufhin dreht der Frenchie durch. Er überschüttet mich mit einem Schwall Französisch, von dem ich kein Wort verstehe. Und er ist verzweifelt, den Tränen nahe. Greift in seine Tasche und zieht einen Brief heraus - höchst wichtig aussehend, mit Wachs über der Verschlußklappe und einer Art Siegel. Schwenkt ihn vor meiner Nase.
Vorerst versuche ich noch immer, zu einem Touristen, der Schwierigkeiten zu haben scheint, nett zu sein. Die Versuchung ist groß, die Eiscreme aufzuessen, ein paar Dime auf den Tisch zu werfen und abzuhauen. Aber statt dessen denke ich, hol’s der Teufel, vielleicht kannst du diesem Kerl helfen, der einen schlimmeren Tag hinter sich zu haben scheint als du selbst, was einiges bedeutet. Also rufe ich Papa Fellini her und frage ihn, ob er Französisch kann. Keine Chance. Nur Italienisch oder Englisch - und auch das Englisch nur mit sizilianischem Akzent. Dann überlege ich mir: Wer spricht denn hier in der Nähe Französisch?
Ihr an meiner Stelle hättet mit den Schultern gezuckt und wärt gegangen, stimmt’s, Jungs? Und ihr hättet was verpaßt. Aber ich bin Cholly Bloom, der Mann mit dem sechsten Sinn. Und was steht nur
einen Block entfernt an der Twenty-Sixth und Fifth? Delmonico’s. Und wer führt Delmonico’s? Klar, Charlie Delmonico. Und wo stammt die Familie Delmonico her? Okay, aus der Schweiz, aber dort drüben können sie alle Sprachen, und obwohl Charlie in den Staaten geboren ist, schätze ich, daß er ein bißchen Französisch kann.
Also bugsiere ich den Frenchie dort raus, und zehn Minuten später stehen wir vor dem berühmtesten Restaurant der Vereinigten Staaten. Seid ihr schon mal drin gewesen, Jungs? Nein? Nun, dann habt ihr echt was verpaßt! Poliertes Mahagoni, pflaumenfarbener Samt, Tischlampen aus Messing massiv, höchst elegant. Und teuer. Für mich viel zu teuer. Und schon kommt uns Charlie D. entgegen, der das genau weiß. Aber das ist das Kennzeichen eines großen Restaurants, stimmt’s? Perfekte Manieren, selbst einem Tramp von der Straße gegenüber. Er verbeugt sich und fragt, wie er uns behilflich sein kann. Ich erkläre ihm, daß ich diesen Frenchie aus Paris kennengelernt habe, der ein größeres Problem mit einem Brief zu haben scheint, das ich aber nicht verstehe.
Nun, Mr. D. stellt dem Franzosen eine höfliche Frage - natürlich auf französisch -, und der Kerl legt wieder wie ein Maschinengewehr los und deutet auf seinen Brief. Ich verstehe kein Wort, deshalb sehe ich mich ein bißchen um. Fünf Tische entfernt sitzt Wette-’ne-Million-Gates und arbeitet sich durch die gesamte Speisekarte, vom Datum bis zum Zahnstocher. Gleich dahinter sitzt Diamond Jim Brady bei einem frühen
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