Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
Vom Netzwerk:
können.«
    »Sie wollen damit sagen«, fragte ich, »daß die Kugel ihn entmannt hat?« Der Chirurg schüttelte den Kopf. »Das wäre wahrscheinlich eine Gnade gewesen, weil er dann vielleicht nie Frauen begehrt hätte. Nein, er wird all die Leidenschaft, die Liebe und das Begehren empfinden, zu denen ein junger Mann fähig ist, aber die Zerstörung dieser großen Blutgefäße …«
    »Ich bin kein Kind mehr, M’sieur le Docteur«, unterbrach ich ihn, um ihm seine Verlegenheit zu nehmen, obwohl ich ahnte, was kommen würde. »Dann muß ich Ihnen leider sagen, Madame, daß er nie imstande sein wird, die Vereinigung mit einer Frau zu vollziehen und so ein Kind zu zeugen.« »Er wird also nie heiraten können?« fragte ich. Der Chirurg zuckte mit den Schultern.
    »Die Frau, die sich auf eine Ehe dieser Art einlassen würde, müßte also schon eine Heilige sein oder ein starkes anderes Motiv haben«, sagte er. »Ich bedaure das alles zutiefst, Madame. Ich habe getan, was ich tun mußte, um ihn vor dem Verbluten zu retten.«
    Ich hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Daß ein solcher Unhold einem Jungen an der Schwelle zum Mannesalter eine so schreckliche Verletzung zugefügt hatte, erschien mir unvorstellbar. Ich suchte den jungen Mann an seinem Krankenlager auf. Er war blaß und schwach, aber bei Bewußtsein. Er wußte noch nichts von der Schwere seiner Verletzung.
Er bedankte sich artig dafür, daß ich ihm auf der Gasse beigestanden und ihm so das Leben gerettet habe. Als ich hörte, seine mit dem Zug aus Rouen gekommene Familie sei nach Paris unterwegs, verließ ich das Krankenhaus.
    Ich hätte nie geglaubt, daß ich meinen jungen Aristokraten jemals wiedersehen würde, aber da täuschte ich mich. Acht Jahre später - nun schön wie ein griechischer Gott - kam er allabendlich in die Oper, weil er auf ein Lächeln und ein Wort einer von ihm verehrten jungen Tänzerin hoffte. Als sie dann später ein Kind erwartete, gestand er ihr als der gute und anständige Mann, der er ist, seine Behinderung, heiratete sie mit ihrem Einverständnis und gab ihr seinen Namen und Titel. Und in den mehr als zwölf Jahren seitdem hat er ihrem Sohn wie ein echter Vater alle Liebe geschenkt, derer er fähig war.
    Nun weißt Du also die Wahrheit, mein armer Erik. Bemühe Dich, sanft und behutsam zu sein.
    Mit einem letzten Kuß von einer Sterbenden, die versucht hat, Deinen Schmerz zu lindern
    Antoinette Giry
    Morgen werde ich sie sehen. Sie muß es inzwischen wissen. Die Botschaft, die ich ihr ins Hotel sandte, war klar genug. Diesen Affen, der »Masquerade« spielt, würde sie überall wiedererkennen. Ort und Zeit unseres Treffens habe natürlich ich festgelegt. Wird sie sich noch immer vor mir fürchten? Wahrscheinlich schon. Trotzdem wird sie nie erfahren, wie
sehr ich sie fürchte - sie und ihre Macht, mir nochmals einen winzigen Bruchteil des Glücks zu verweigern, das die meisten Männer für selbstverständlich erachten.
    Aber selbst wenn sie mich erneut zurückweisen sollte, hat sich alles verändert. Ich kann von diesem Adlerhorst auf die Menschen hinabblicken, die ich so hasse, und sagen: Ihr könnt auf mich spucken, mich verachten, verspotten und schmähen, aber nichts kann mich noch verletzen. Durch Schmutz und Regen, durch Tränen und Schmerz - mein Leben ist nicht vergeblich gewesen: ICH HABE EINEN SOHN.

11
    DAS TAGEBUCH DER MEG GIRY
    Hotel Waldorf-Astoria, Manhattan,
29. November 1906
     
     
     
     
     
    L iebes Tagebuch, endlich kann ich mich in Ruhe hinsetzen und dir meine geheimsten Gedanken und Sorgen anvertrauen, denn es ist nach Mitternacht, und die anderen sind längst zu Bett gegangen.
    Pierre schläft tief und fest. Ich habe vor zehn Minuten einen Blick in sein Zimmer geworfen. Pater Joe höre ich in seinem Bett nebenan schnarchen; selbst die dicken Wände dieses Hotels können dieses Geräusch nicht ganz dämpfen. Und Madame schläft endlich auch, nachdem sie ein Schlafmittel genommen hat, um Ruhe zu finden. In den zwölf Jahren, die ich nun bei ihr bin, habe ich sie noch nie so bekümmert gesehen.
    Und an allem ist dieser Spielzeugaffe schuld, den irgendein Unbekannter Pierre als Geschenk ins Hotel hat bringen lassen. Außerdem ist ein Reporter hiergewesen, sehr nett und hilfsbereit - und er hat sogar ein wenig mit mir geflirtet -, aber seine Anwesenheit
hat Madame nicht so aus der Fassung gebracht wie dieser Spielzeugaffe.
    Als sie ihn seine zweite Melodie spielen hörte - die durch die offene Tür ins

Weitere Kostenlose Bücher