Das Phantom von Manhattan - Roman
zuvor...« und so weiter und so fort. Dabei gehe ich vor dem Eingang auf und ab, begrüße die hübschen Mädchen in ihren schönsten Sommerkleidern, heiße die jungen Männer willkommen, die sich solche Mühe geben, sie mit ihren gestreiften Jacketts und Strohhüten zu beeindrucken, und lächle den Eltern zu, deren Kinder erst dann Ruhe geben, wenn sie ihren Eintritt an einer der Kassen bezahlt haben. Und von jeweils fünfzig Cents gehört einer mir.
Natürlich ist dies ein Sommerjob, der von April bis Oktober dauert, und wenn die ersten kalten Winde vom Atlantik her wehen, machen wir für den Winter dicht.
Dann kann ich mein Funmasterkostüm in den Schrank hängen und den walisischen Singsang, der den Besuchern so gut gefällt, wieder ablegen, denn ich bin in Brooklyn City geboren und habe das Land meines Vaters und seiner Vorväter nie gesehen. Ich ziehe meinen normalen Anzug an, überwache den Abbau und die Einlagerung aller Fahrgeschäfte und Nebenschauen; die Maschinen müssen geschmiert und gewartet, abgenutzte Teile ausgetauscht, Holz abgeschliffen und frisch gestrichen oder lackiert, Karussellpferde neu vergoldet und eingerissenes Segeltuch
geflickt werden. Anfang April ist dann alles wieder an seinem Platz, und die Tore werden an den ersten warmen Sonnentagen geöffnet.
Daher war ich einigermaßen überrascht, als ich vorgestern ein Schreiben von Mr. George Tilyou persönlich erhielt, also von dem Gentleman, dem der Park gehört. Er hat ihn sich ursprünglich ausgedacht - zusammen mit einem Partner, den noch kein Mensch gesehen hat, zumindest bei uns auf der Insel nicht. Das hier ist dank Mr. T.s Energie und Weitblick vor neun Jahren entstanden und hat ihn inzwischen zu einem schwerreichen Mann gemacht.
Sein durch Boten überbrachter Brief war sehr dringend. Er teilte mir darin mit, am kommenden Tag - der jetzt natürlich gestern ist - werde eine Privatgesellschaft den Park besuchen. Er wisse natürlich, daß die Bahnen und Karussells nicht rechtzeitig in Betrieb genommen werden könnten, weise mich aber an, den Spielzeugladen und das Spiegelkabinett mit vollem Personal zu öffnen. Und auf diesen Brief folgte der merkwürdigste Tag, den ich je im Steeplechase Park erlebt habe.
Mr. Tilyous Anweisung brachte mich in eine äußerst verzwickte Lage, denn meine wichtigsten Leute waren im Urlaub und somit nicht erreichbar.
Außerdem waren sie auch nicht leicht zu ersetzen. Die ausgestellten mechanischen Spielsachen, die eigentliche Spezialität unseres Ladens, sind nicht nur die modernsten ganz Amerikas, sondern auch sehr kompliziert. Man muß ein richtiger Fachmann sein, um sie verstehen und dem jugendlichen Publikum
ihre Funktionsweise erklären zu können. Und dieser Fachmann bin ich nicht. Ich konnte nur hoffen, daß alles gutging.
Natürlich ist es im Winter eiskalt im Park. Ich stellte also am Abend vor dem Besuch im Laden Petroleumöfen auf, so daß es darin bei Tagesanbruch warm wie an einem Sommertag war. Danach zog ich alle Staubdecken von den Regalen, damit die Reihen von aufziehbaren Soldaten, Trommlern, Tänzerinnen, Akrobaten und Tieren, die singen, tanzen und spielen, zu sehen waren. Aber mehr konnte ich nicht tun. Um acht Uhr morgens hatte ich im Spielzeugladen alle Vorbereitungen getroffen, die mir vor dem angekündigten Besuch möglich waren. Dann geschah etwas sehr Merkwürdiges.
Als ich mich einmal umdrehte, sah ich mich plötzlich einem jungen Mann gegenüber. Ich wußte nicht, wie er hereingekommen war, und wollte ihm schon sagen, wir hätten geschlossen, als er sich anbot, den Spielzeugladen für mich zu übernehmen. Woher wußte er, daß ich Besucher erwartete? Das sagte er nicht. Er erklärte mir nur, er habe früher einmal hier gearbeitet und kenne sich mit mechanischen Spielsachen aus. Nun, da unser Spielzeugmann fehlte, blieb mir überhaupt nichts anderes übrig, als sein Angebot anzunehmen. Er sah nur nicht wie unser jovialer, freundlicher, bei den Kindern so beliebter Spielzeugmann aus. Er hatte ein kreidebleiches Gesicht, schwarzes Haar und schwarze Augen und trug einen schwarzen Gehrock. Ich fragte ihn nach seinem Namen. Er zögerte eine Sekunde, dann sagte er:
»Malta.« Also nannte ich ihn so, bis er wieder ging oder vielmehr verschwand. Aber darüber später mehr.
Das Spiegelkabinett war ein anderes Problem. Es ist eine höchst erstaunliche Einrichtung, und obwohl ich mich in dienstfreien Stunden oft darin aufhielt, fand ich nie heraus, wie es funktionierte. Wer es
Weitere Kostenlose Bücher