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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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Exklusivinterview, zu dem ich ursprünglich ins Hotel gekommen war. Ob ich’s gekriegt hab’? Nein, das hab’ ich nicht. Die Lady war so bekümmert, daß sie ins Schlafzimmer zurückgelaufen ist und sich geweigert hat, wieder herauszukommen. Meg, das Kammerkätzchen, hat mir in ihrem Namen dafür gedankt, daß ich den Ausflug nach Coney Island organisiert habe, aber gesagt, die Primadonna sei jetzt zu müde, um unser Gespräch fortzusetzen. Also mußte ich gehen. Enttäuschend, aber nicht weiter wichtig. Dann bekomme ich mein Exklusivinterview eben morgen. Und ja, ihr könnt mir noch ein Bier spendieren.

10
    DER JUBEL DES ERIK MÜHLHEIM
    Rooftop Terrace, E. M. Tower, Manhattan,
29. November 1906
     
     
     
     
     
    I ch habe sie gesehen! Nach all diesen Jahren habe ich sie wiedergesehen, und fast wäre mir mein Herz im Leib zersprungen. Ich stand auf dem Dach eines Lagerhauses am Hafen und blickte hinab, und dort war sie - unter mir auf der Pier. Bis ich das Glitzern der Objektive eines Fernglases im Sonnenlicht entdeckte und eilig verschwinden mußte.
    Also mischte ich mich unter die Menge, und zum Glück war es an diesem Morgen so kalt, daß ein Mann, der sich einen Wollschal um den Kopf gewickelt hatte, nicht weiter auffiel. So konnte ich mich dem Wagen nähern, um ihr liebliches Gesicht aus nur wenigen Metern Entfernung zu betrachten und meinen alten Umhang einem törichten Reporter, der nur an seinem Interview interessiert war, in die Hand zu drücken.
    Sie war schön wie eh und je: die zierliche Taille, das unter ihrer Kosakenmütze aufgesteckte volle Haar,
das Gesicht mit dem Lächeln, das die Menschen so bezaubert.
    Habe ich recht gehandelt? War es richtig, all die alten Wunden wieder aufzureißen? War ich ein Narr, sie hierherzuholen, nachdem so viele Jahre die Schmerzen beinahe geheilt hatten?
    Damals, in jenen Pariser Jahren voller Angst, liebte ich sie mehr als mein eigenes Leben. Sie war und ist meine erste und einzige Liebe. Als sie mich in jenem Keller abwies, um sich dem jungen Vicomte zuzuwenden, hätte ich sie fast beide getötet. Wieder erfaßte mich dieser Zorn, der stets mein einziger Gefährte gewesen ist, mein wahrer Freund, der mich nie verlassen hat, dieser Zorn auf Gott und seine Engel, weil Er mir kein menschliches Gesicht wie den anderen, wie Raoul de Chagny gegeben hatte. Ein Gesicht, das lächeln kann und den Menschen gefällt. Statt dessen verdanke ich Ihm diese erstarrte Schreckensmaske, die mich zu lebenslanger Einsamkeit verdammt.
    Und trotzdem glaubte ich - ich armer, dummer Tölpel! -, sie könnte mich nach dem, was sich in jenen Stunden, als der rachsüchtige Mob in die Keller herabstürmte, um mich zu lynchen, ereignet hatte, vielleicht sogar ein bißchen lieben.
    Oh, Mme. Giry, was soll ich jetzt von Ihnen denken? Sie waren der einzige Mensch, der mich jemals freundlich behandelte, der mich nicht anspuckte oder beim Anblick meines Gesichts vor Entsetzen wegrannte. Weshalb haben Sie so lange gewartet? Soll ich Ihnen dafür danken, daß Sie mir in Ihrer Todesstunde
eine Nachricht haben überbringen lassen, die mein Leben erneut verändern wird, oder Ihnen Vorwürfe machen, daß Sie mir diese Nachricht dreizehn Jahre lang vorenthalten haben? Ich könnte tot und begraben sein und hätte nie davon erfahren. Aber ich lebe noch und weiß jetzt alles. Deshalb gehe ich dieses Wagnis ein.
    Sie hierherzuholen, sie wiederzusehen, alte Wunden aufzureißen, wieder zu fragen, wieder zu flehen... und wieder abgewiesen zu werden? Vermutlich, höchstwahrscheinlich sogar. Und dennoch, und dennoch …
    Ich habe Mme. Girys Brief, den sie kurz vor ihrem Tod im September in Paris verfaßt hat, Wort für Wort auswendig gelernt; ich habe ihn wieder und wieder gelesen, bis die Seiten vom Schweiß meiner Finger feucht waren. Sie schrieb:
    Mein lieber Erik,
    wenn Du diesen Brief erhältst, falls er jemals in Deine Hände gelangt, habe ich diese Erde bereits verlassen und bin in einer anderen Welt. Ich habe lange mit mir gerungen, bevor ich mich dazu entschloß, Dir diese Zeilen zu schreiben. Ich habe es nur getan, weil ich finde, daß Du, der Du so viel gelitten hast, endlich die Wahrheit erfahren sollst. Ich könnte nicht vor meinen Schöpfer treten, wenn ich wüßte, daß ich Dich bis zuletzt getäuscht habe.
    Ob Dir die Mitteilungen, die dieser Brief enthält, Freude machen oder neues Leid bringen werden, kann ich nicht sagen. Den wahren Sachverhalt der
Dinge, die Dir einmal sehr nahegegangen sind

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