Das Philadelphia-Komplott
vorzurücken. “Das Camp mit den gefangenen Amerikanern ist weniger als eine Meile entfernt”, brüllte er zu Jake herüber. “Ich kehre nicht ohne sie zurück.”
Jake versuchte, mit ihm zu reden, ihm zu erklären, dass die Kommandozentrale vielleicht etwas wusste, was er und van Heusen nicht wussten. Vielleicht warteten weitere irakische Soldaten auf sie, um sie ins Visier zu nehmen. Aber van Heusen beachtete ihn nicht. Er forderte seine Männer auf, weiterzufahren.
Erst als sie erneut unter Beschuss gerieten und es Verletzte gab, war der Colonel bereit, das Signal zum Rückzug zu geben.
Als sie am nächsten Morgen vor ihren Vorgesetzten standen, hatte van Heusen eine weitere Überraschung für Jake parat. In strammer Haltung, den Blick ganz ruhig, behauptete er, den Befehl des Oberbefehlshabers nicht gehört zu haben.
Unglücklicherweise war außer Jake noch ein Mitglied des Teams, Sergeant Daniel Pratfield, anwesend, als der Befehl zum Rückzug über Funk gegeben worden war. Wütend darüber, dass durch den Leichtsinn des Colonels fünf seiner Kollegen schwer verwundet worden waren, erzählte er, was er wusste.
Nun stand Aussage gegen Aussage. Van Heusens Schicksal lag allein in Jakes Händen – wenn er die Aussagen Pratfields bestätigte, erwarteten van Heusen ein Prozess vor dem Militärgericht und eine harte Gefängnisstrafe.
Schließlich gewannen der Eid, den Jake vor langer Zeit geschworen hatte, und die Loyalität gegenüber dem Mann, den er immer bewundert hatte, die Oberhand. Er war sich bewusst, dass er auch seine eigene Karriere gefährdete, trotzdem bestätigte er van Heusens Aussage und berichtete dem Untersuchungsausschuss, dass er den Befehl zum Einstellen des Feuers ebenfalls nicht gehört hatte.
Jakes Loyalität wurde schlecht belohnt – oder gerecht belohnt, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man die Sache betrachtete. Weil ein Gerichtsprozess einen demoralisierenden Effekt auf den Rest der Truppen gehabt hätte, entschloss man sich zu einer außergerichtlichen Strafe – beiden Männern wurden ihre Abzeichen aberkannt, sie wurden unehrenhaft entlassen und in die Vereinigten Staaten zurückgeschickt.
Bis zum letzten Moment hatte Jake gehofft, dass van Heusen doch noch vortrat, um seinem alten Kumpel die Erniedrigung einer unehrenhaften Entlassung zu ersparen. Aber er hatte es nicht getan.
In den ersten Jahren danach war Jake rastlos von Stadt zu Stadt, von Job zu Job gezogen. Dann hatte er die Anzeige einer Ölfirma gelesen, die Mitarbeiter für ihre Ölplattformen suchte, war zum Vorstellungsgespräch nach Chicago geflogen und eingestellt worden.
Stark, clever und hart arbeitend war er schnell zum Hochsee-Bohrer befördert worden, und vor kurzem war ihm eine leitende Position angeboten worden, von der er noch nicht sicher war, ob er sie annehmen sollte.
Nach und nach verschwand das Gesicht von van Heusen vor seinem inneren Auge, und Jake setzte sich in den Sessel, in dem Ramirez vorher gesessen hatte. Mit mäßigem Interesse öffnete er die Akte von Sydney Cooper. Ihr Foto überraschte ihn. Aus irgendeinem Grund hatte er eine Frau mittleren Alters erwartet, mit harten Gesichtszügen, mausbraunem Haar und unförmigem Körper. Stattdessen blickte ihm vom Foto ein sympathisches Gesicht mit großen, intelligenten Augen, von denen er nicht wusste, ob sie blau, grün oder grau waren, und einem sinnlichen Mund entgegen. Ihr kinnlanges Haar hatte die Farbe von goldenem Honig.
Ein anderes Foto, das vor dem Gerichtsgebäude aufgenommen worden war, zeigte ihm, dass er nochmals falsch gelegen hatte. Sie hatte definitiv keinen unförmigen Körper. Um es kurz zu sagen, diese Frau beeindruckte ihn.
Ihr Werdegang war so unerwartet wie ihr Aussehen. Nachdem sie die Temple University mit einem Diplom in Marketing abgeschlossen hatte, hatte sie nicht etwa einen Job in einer großen Firma angenommen, sondern sich bei der Polizei in Philadelphia beworben. Als Anfängerin hatte sie sehr schnell bewiesen, dass sie klug, einfallsreich und zuverlässig war. Sie war drei Jahre in ihrem Job, als sie und ihr Partner zu einem Raubüberfall in einem Supermarkt gerufen wurden. Bevor die Verstärkung vor Ort war, befanden sich Officer Cooper und Officer O’Hara auch schon unter Beschuss. Mit der Waffe in der Hand zielte Officer Cooper auf den Räuber – und zögerte.
Dieses Zögern kostete ihren Partner das Leben.
Syds Rückkehr zu ihrer Arbeit – Schreibtisch-Arbeit – stand unter keinem guten Stern.
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