Das Prinzip Selbstverantwortung
Ihr Beschwerdepunkt auch nicht wirklich wichtig. Jedenfalls nicht so, dass er Sie handeln lässt, dass Sie die Angst vor dem Risiko überwinden.
Was wäre, wenn Sie völlig aussteigen würden? Was würde schlimmstenfalls passieren? Erwartet Sie die Arbeitslosigkeit, fürchten Sie Statusverlust, einen Karriereknick? Würden Sie die Selbstachtung verlieren, weil Sie glauben, versagt zu haben? Ich argumentiere hier nicht moralisch. Mir geht es um die Definition des Preises. Es ist die Angst vor Unbekanntem, die uns davon abhält, Veränderungen zu riskieren. Nichts hypnotisiert Menschen mehr als die eigene Ängstlichkeit. Der Weg aus der Angst aber geht immer durch die Angst hindurch. Es ist sogar wahrscheinlich, dass an dem Punkt, an dem wir die meiste Angst verspüren, |70| unser größter Schatz begraben liegt: das Gefühl heiterer Gelassenheit und Zwanglosigkeit; das Gefühl, nicht etwas tun zu
müssen
, sondern nur das zu tun, was wir wirklich
wollen
.
Wenn Sie nun aber zu sich sagen: »Ja, da gibt es zwar einiges, was für mich in diesem Unternehmen nicht in Ordnung ist, aber deshalb will ich es nicht verlassen«, dann können Sie immer noch wählen: Ihre
innere Einstellung
. Sie können vielleicht nicht den Wind bestimmen, aber Sie können die Segel richten. Wer eine unerfreuliche Situation also nicht ändern kann, sollte wenigstens so intelligent sein und seine Einstellung ändern. Selbstverständlich können Sie sich auch weiter als Opfer beklagen. Aber praktischer ist eine andere Möglichkeit:
Lieben Sie, was Sie tun!
Machen Sie Ihre Arbeit mit Liebe und Hingabe! Nicht weil der Job so toll ist, die Rahmenbedingungen optimal sind oder irgendeine von außen kommende Instanz gesagt hat, wie wertvoll die Aufgabe ist. Sondern ganz einfach darum, weil Sie ihn gewählt haben. Aus keinem anderen Grunde. Jammern und nichts an der Sache tun, immer auf das starren, was fehlt – damit ziehen Sie sich selbst herunter: Wer sich beschwert, macht sich schwer. Tun Sie das, was Sie tun, mit Begeisterung und Enthusiasmus. Enthusiasmus kommt vom griechischen »en theos« = eins mit Gott, etwa: »mit der Energie Gottes«. Sagen Sie ein volles »Ja!« zu Ihrem Handeln.
Oder lassen Sie es ganz.
Im London der frühen 1970er Jahre konnte man auf T-Shirts diese Dreistufigkeit bündig zusammengefasst lesen:
Love it, leave it or change it.
In einigen Unternehmen ist dieser Satz eine gängige Sprachmünze. Allerdings wird sie nicht selten zynisch verkürzt zu »Love it or leave it«. Man begibt sich damit eines der wichtigsten Mitarbeiterpotenziale: der Fähigkeit zur Kreativität und Innovation. Man unterdrückt den Wunsch, zu verändern, zu verbessern, zu gestalten.
|71| Der Becker-Faktor
Mancher Leser wird das Pathos fürchten, das er hinter den letzten Absätzen zu fühlen meint. Manch anderer hört gar die Sphärenklänge esoterischer Selbstfindungsfolklore. Lieben – das klingt nach Ambra-Therapie, extraterrestrischer Weizenfeldforschung und Reinkarnations-Gymnastik. In der Tat ist Lieben im Deutschen eine sprachliche Peinlichkeit, in der inszenierten Schein-Sachlichkeit des Geschäftslebens geradezu verpönt. Akzeptieren ja, aber doch nicht gleich Lieben! Mit Lieben ist hier gemeint:
etwas mit ganzem Herzen tun
. Die in unseren Unternehmen zum Prinzip gewordene Halb-Herzigkeit abwählen. Voll bei der Sache sein. »Denn nichts ist für den Menschen als Menschen etwas wert«, rief Max Weber seinen Studenten zu, »was er nicht mit Leidenschaft tun kann.«
Was hier gemeint ist, wird vielleicht deutlicher durch eine Aussage Boris Beckers – in seinen besten Zeiten zweifellos ein personifiziertes Commitment. Wie keinem vergleichbaren Spieler konnte man ihm ansehen, ob er mit ganzem Herzen bei der Sache war. Als er zu einem frühen Höhepunkt seiner Karriere (1989) die unter widrigen Umständen durchgeführten US Open in Flushing Meadow gewann, sagte er anschließend in einem Interview: »Du musst dieses Turnier lieben, wenn du hier gewinnen willst. Du musst es lieben trotz des Fluglärms über dir, du musst es lieben trotz der hysterischen Zuschauer, trotz des Betonkessels und trotz der Affenhitze. So wie Jimmy Connors es achtzehn Jahre lang geliebt hat. Wenn du es nicht lieben kannst, gehst du besser vom Platz.« Becker sieht auch das, was fehlt; er kann sich sicher auch idealere Arbeitsbedingungen vorstellen; aber er weiß, er kann nur gewinnen, wenn er die Umstände als Teil des Spiels voll anerkennt, wenn er keine
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