Das Prinzip Selbstverantwortung
Entscheidungsneurose: Soll ich den Job in Hamburg oder den Job in München wählen? Soll ich mich für diesen oder jenen Bewerber entscheiden? Soll ich diese oder jene Marketingstrategie verfolgen? Soll ich die Produktpalette weiter diversifizieren oder konzentrieren? Torn between two lovers: Es muss zwischen verschiedenen Möglichkeiten eine Auswahl getroffen werden. Wählen bedeutet: Eine Tür ist zu! Schon allein das Wort »Verzicht« verursacht Übelkeit im Stimmungsklima des vergnügungssüchtigen Zeitvertreibs. Es riecht förmlich nach Sekundärtugend, vergangenen Zeiten.
Sehr verbreitet ist der Anspruch, alles auf einmal haben zu können, den Preis nicht zahlen zu müssen. »Ich will alles!« – »Wäre ja doch schön, wenn noch …« Viel Energie wird dann investiert in Phantasien über die abgewählte Möglichkeit. Oder aber man wehrt sich gegen den Verlust der abgewählten Alternative, indem die abgewählte Seite (die bekannten sauren Trauben) herabgesetzt wird: »Das wäre es sowieso nicht gewesen!« – »Wer weiß, was mich da erwartet hätte!« Ein solches Handeln ist kein echtes Wählen. Zum Beispiel schwächen sich viele beruflich aktive Frauen |63| selbst, indem sie eine Frau, die »nur« Hausfrau ist, abwerten. Erst wenn wir die Alternative würdigen und uns dann in klarer Sicht zweier ernst zu nehmender Möglichkeiten für den einen Weg entscheiden, dann hat eine Entscheidung Kraft und Würde. Bert Hellinger schreibt dazu: »Verachten sie (die Menschen, R. S.) das nicht Verwirklichte, nimmt dieses von dem, was sie wählten, etwas weg. Es wird weniger. Würdigen sie das nicht Verwirklichte, obwohl sie es nicht wählen, dann fügen sie dem, was sie gewählt haben, etwas hinzu.« Es ist praktisch, so zu denken: Erst wenn wir beide Alternativen würdigen, hat eine Wahl Kraft. Sonst ist es keine Wahl, sondern Flucht. Den Preis bejahen fügt dem, wofür wir uns entschieden haben, etwas Wertvolles hinzu.
Sie wählen immer, ob Sie sich nun dessen bewusst sind oder nicht. Aber das bewusste Wählen ist es gerade, was der Wahl die Würde gibt. Echte Verantwortung erwächst also aus einer
Bewussten
Wahlentscheidung. Wie der Weise sagt:
Wähle, was Du
tust, dann tust Du immer, was Du gewählt hast.
Ohne die Gewissheit jedoch, dass alle Arbeitssituationen Ergebnis meiner Wahlakte sind, kann »Frei-Willigkeit« nicht verstanden werden. John P. Carse schreibt: »Wer aber glaubt, spielen zu
müssen
, kann nicht
spielen
.« Es ist unmöglich, etwas zu wählen, wenn Sie
müssen
. Wenn Sie müssen, dann können Sie sich nicht dafür entscheiden. Wenn Sie glauben, keine Wahl zu haben, dann können Sie eine Verpflichtung nicht eingehen.
Wenn Sie sich als das Opfer der Umstände erleben, machen Sie andere verantwortlich, sind Sie nicht selbst verantwortlich. Dann wird Commitment für Sie immer ein Fremdwort bleiben. Commitment heißt: sich Ihrer Wahlfreiheit bewusst sein; sich bewusst sein, dass Sie alles, was ist, gewählt haben. Negativ formuliert:
Ohne das Bewusstsein von Wahlfreiheit kein Commitment.
Mihaly Csikszentmihalyi hat in seinen Forschungen eindrucksvoll dargestellt, dass Arbeitszufriedenheit nur sehr bedingt aus den äußeren Rahmenbedingungen herzuleiten ist. Die eigentliche Quelle liegt woanders. Sie selbst sind die Quelle Ihrer Zufriedenheit, nicht Ihre Arbeit. Um Arbeitsfreude zu erleben, müssen Sie bereit sein, voll zu dem zu stehen, was
jetzt
ist, voll anerkennen, »Ja« sagen. Nicht weil das »richtig« wäre. Nicht weil |64| eine von außen kommende Instanz das als moralisch wertvoll ausgewiesen hätte. Sondern ausschließlich deshalb, weil Sie es gewählt haben. Und weil Sie sich Ihrer Wahl bewusst sind. Das – und nur das – ist der entscheidende Schritt zum Commitment.
Von meinem ersten Chef habe ich eine lakonische Frage gelernt, die er mir mit liebevoller Penetranz immer dann stellte, wenn ich wieder die Unvollkommenheit der Welt beklagte: »Was ist die Alternative?« Wenn sie »Nichts tun« hieß, wusste ich wenigstens, was ich nicht wollte.
Wenn für Sie am Ende dieses Kapitels also mehr Fragen offen sind als beantwortet, wäre das nicht unbedingt das Schlechteste.
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Wollen
Ein Meister ist, der übt.
»Bei Robert habe ich oft erlebt, wie er wortlos vom Mittagstisch aufsteht, manchmal seine Lippen bewegt, an seinen Computer geht, etwas eingibt, manchmal ebenso wortlos wiederkommt, aber auch einfach wegbleibt.«
»Man kann sagen, Mike arbeitet jeden Tag 12 Stunden und mehr;
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