Das Prinzip Selbstverantwortung
wenn sie auch von Ihnen vielleicht im Kontext von Zwang und Unfreiwilligkeit erlebt wird. Sie haben sich dann meistens entschieden, diese Selbstverpflichtung nicht zu mögen. Aber Sie übersehen die Tatsache, dass Sie
Ihre Wahl
nicht mögen. Und dass Sie sich anders entscheiden können.
Führungskräfte glauben bedauerlicherweise oft, sie seien in der Pflicht, ihren Mitarbeitern zu sagen, was sie tun oder lassen sollen. Was sie Pflicht nennen, manchmal sogar Verantwortung, ist Teil jener Dressur- und Überlegenheitskonvention, die sie anbeten. Daraus resultieren hochgradig angepasste, unterzuständige und obrigkeitshörige Ausführungslakaien, über deren Mittelmäßigkeit man sich in den Führungszirkeln beschwert bzw. lustig macht. Um sie »auf Trab zu bringen«, werden dann vielfältige Ansporninstrumente erdacht, deren Konsequenzen ich an anderer Stelle beschrieben habe.
Gehen wir noch einen kleinen Schritt weiter, so ist unter dem Pflichtbegriff eine weitere Illusion verborgen: »Ich tue das doch nur für dich!« Aus dem Kontext der Selbstverantwortung heraus: |75|
Sie haben noch nie etwas für einen anderen getan.
Dem anderen mag Ihr Handeln nutzen. Es mag ihn fördern und stärken. Aber im Grunde handeln Sie, weil
Sie
es für richtig und wichtig halten, so zu handeln. Weil Sie es gewählt haben. Weil Sie sich dafür (und nicht für andere Verhaltensweisen) entschieden haben. Weil es Ihren Werten und Normen entspricht.
Handeln erfüllt immer ein Bedürfnis. Es ist immer
eigennützig
. Damit möchte ich niemanden herabsetzen, der anderen Menschen hilft. Aber dieses Helfen empfängt seine Kraft nicht von außen, nicht aus dem Wofür, sondern aus dem Woraus. Für das Wohl anderer kann man sich – Herbert Witzenmann hat darauf immer wieder hingewiesen – aus den heuchlerischsten Motiven einsetzen. Wenn Sie sagen, Sie machen etwas z. B. für Ihre Kinder, dann ist das falsch und kraftlos. Sie handeln so, weil Sie sich zu den Folgen Ihrer Wahlentscheidung verantwortlich bekennen. Und genau das ist zu würdigen! Nicht die Nummer »Deinetwegen«, die ohnehin nur auf eine verkappte Schuldzuweisung bzw. Ausbeutung hinausläuft. Ein Manager erzählte, nachdem er über diesen Gedanken nachgedacht hatte: »Mein Sohn hat mich einmal |76| sehr beschämt, als ich meine zunehmende berufliche Belastung mit den Worten entschuldigte: ›Ich tue das doch alles für euch‹, und er mir antwortete: ›Nein, Papa, Du tust das für Dich.‹«
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|76| Die einzige Organisation, für die wir alle arbeiten, heißt »Ich«. Damit ist keine Rücksichtslosigkeit legitimiert. Damit ist keine Asozialität entschuldigt. Und es wäre ein Trugschluss zu glauben, eine solche Haltung sei kalt und gefühllos. Das gerade Gegenteil ist der Fall. All unsere Bosheit gründet in unserer Sucht, andere zu beherrschen: z. B. durch erpresserische Wohltaten, die ihnen Dank abnötigen und sie von uns abhängig machen. Mit dem »Ich« ist vielmehr der Punkt beschrieben, den die Ethikforscher schon lange kennen: »Ethik hat nur dann eine Chance, wenn sie auf Egoismus setzt. Denn nur eine solche Klugheitsmoral überfordert den Menschen nicht.« Mag es in Ihren Ohren auch noch so unsympathisch klingen. Nur eine solche Klarheit ermöglicht Selbstverantwortung. Also tun Sie, was Sie tun. Und erwarten Sie keinen Dank.
Es ist mithin Selbstbetrug (oft auch erpresserische Absicht), wenn Sie meinen, Sie täten etwas für den anderen, für den Chef, für das Unternehmen. Dann leugnen Sie Ihre eigene Verantwortung. Alles, was Sie tun, tun Sie für sich selbst. »Selbstloser Einsatz?« – Ich habe nie gewusst, was damit gemeint sein könnte.
Ich-Stärke und Individualismus werden in Deutschland schon seit jeher als degenerativ und unsozial bewertet. Dass sie auch mit Freiheit, Kreativität und Verpflichtung einhergehen können, dass einsichtsvoller Individualismus nicht identisch ist mit Rücksichtslosigkeit, dass Marktwirtschaft einer Machtwirtschaft gerade entgegengesetzt ist – all das ist eher eine amerikanische Denktradition. In einer Zeit, in der in Deutschland wieder überall die restaurative Falle klafft, wo es Zeitgeist ist, einen »überzogenen« Individualismus als Werteverfall und Erosion gesellschaftlicher Stabilität zu denunzieren, wo aufs neue eine formierte soziale Kontrolle die sinnstiftende »Gemeinschaft« über die angeblich sinnlose »Gesellschaft« stellen will, kann es nicht deutlich genug gesagt werden: Das »alte« Unternehmen mit
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