Das Prinzip Selbstverantwortung
»Überbieten« oder die Denkfigur »Oben-Unten«, gleichsam als anthropologische Konstanten aufgefasst und fraglos akzeptiert. Mitarbeiter begreifen sich oft nicht als »Wirkende« im schöpferischen Sinne, nicht als Gestalter der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Wirtschaft.
Alles gegenwärtige »So-Sein« ist aber nicht so selbstverständlich, wie es scheinen mag. Wollen wir das Gegenwärtige nicht einfach hinnehmen und uns als passiv und ohnmächtig erleben, so ist es hilfreich, diese scheinbare Selbstverständlichkeit in Frage zu stellen. Das strukturell unbeweglich Gewordene muss zurückverwandelt werden in das, was es eigentlich ist: Problemlösungen in der Zeit. Alles Gegenwärtige erweist sich als geschichtlich gewachsen, |68| als Entscheidung und Schöpfung von Menschen unter ganz bestimmmten historischen Bedingungen. Und ist insofern auch immer wieder von Menschen veränderbar. Das, was ist, ist nur eines unter möglichen. In Abwandlung eines bekannten Adorno-Zitats: »Nur der, der sich die Gegenwart
auch
als eine andere denken kann als die existierende, verfügt über Zukunft.«
Mir ist natürlich bekannt, dass in vielen Unternehmen ein mehr oder weniger verdeckter Kampf gegen die Unangepassten, die Querdenker, die Unbequemen läuft. Der Mitarbeiter, der voll motiviert und aus eigenem Willen heraus handelt, wird als »eigenwillig« häufig eher schief angesehen. Ich fordere hier aber nicht die reflexhafte Rebellion, die den anderen gleichsam »braucht«, um sich an ihm in einer Art Gegenanpassung zwanghaft abzuarbeiten. Ebenso wenig meine ich blinden Zorn oder die weit verbreitete Fundamentalopposition: grundsätzliches Dagegen-Sein. Ich meine das konsequente »Bohren harter Bretter«, das Max Weber einst beschrieb. Das beharrliche Verbessern von tausend kleinen und großen Problemen, Belastungen und Schwierigkeiten. Warten Sie nicht, dass andere das für Sie erledigen. Es sind
Ihre
Defizite, die Sie vor dem Hintergrund
Ihrer
Werte und Interessen als Mangel empfinden. Also sind Sie auch derjenige, der etwas daran ändern kann. Manchmal ist es hilfreich, die »innere« Stellenbeschreibung mit der Stellenbeschreibung auf dem Papier zu vergleichen. Wenn sie einander nicht entsprechen, ist es an der Zeit, die auf dem Papier zu verändern.
Vielleicht denken Sie nun leicht abfällig: »Gut gebrüllt, Löwe! Aber ich habe schon oft probiert, etwas in meinem Unternehmen zu verändern; da tut sich nichts.« Alles gesagt, aussichtslos, ein hoffnungsloser Fall. Dann bleibt eine zweite Handlungsmöglichkeit:
Verlassen Sie das Unternehmen.
Wenn Ihnen etwas wirklich wichtig ist und es besteht keine Chance, es in dieser Firma zu erreichen, dann besteht kein Grund auszuharren. Im Gegenteil: Es gibt so viele Unternehmen, die interessante Spielfelder bieten und vielleicht gerade für Sie das geeignete zur Verfügung stellen können. Es gibt so viele Tätigkeiten mit herausfordernden Chefs, mit freundlichen Chefs, ohne Chefs, mit großen Freiräumen, bei bester Bezahlung, ohne Termindruck, |69| an wunderschönen Wohnorten, mit kompetenten Mitarbeitern usw. Niemand hat etwas davon, wenn Sie zähneknirschend in Ihrer Duldungsstarre verharren: das Unternehmen nicht, weil es sich mit einem lauen Mitarbeiter verhält wie mit einem faulen Apfel im Korb. Ihre Familie nicht, weil Ihre latente Unzufriedenheit sicher auch dort spürbar wird. Vor allem aber Sie selbst nicht: Sie verschleudern Ihre Lebenszeit.
Ich habe in einem Unternehmen, das seit Jahrzehnten zu 100 Prozent in Familienbesitz ist, einige Vorstandssitzungen moderiert – bis mir klar wurde, dass die Erwartungen einiger Vorstände absurderweise darauf hinausliefen, dass das Unternehmen
nicht
der Familie gehören sollte. Die Vorstände waren nicht bereit anzuerkennen:
Was ist, ist.
An irgendeinem Punkt ist es vorbei mit dem Ändern. Es gibt Lebensumstände, die sich jetzt und von einem einzelnen nicht ändern lassen, die anzuerkennen sind, will man nicht zum Michael Kohlhaas werden. Dann regiert die normative Kraft des Faktischen. Dann stehen wir vor der Entscheidung, ob wir mit dem, was ist, leben können oder besser gehen sollten.
In dieser Situation mögen Sie spontan reagieren mit dem Satz: »Ich kann nicht gehen!« Dahinter verbirgt sich etwas anderes: Sie
wollen
nicht. Anderes ist Ihnen wichtiger. Sie
wollen
den Preis des Wechsels nicht bezahlen. Und dazu ist nichts zu sagen. Niemandem steht es an, die Gründe Ihres Bleibens zu bewerten. Aber dann ist Ihnen
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