Das Prinzip Selbstverantwortung
wäre glücklich, wenn er sein Ziel erreichte: wenn der Stein oben bliebe.
|86| Carpe diem
Voraussetzung für Exzellenz ist die Freude am Tun.
Wer nur die Zielerreichung im Kopf hat, verkrampft. Das hat Konsequenzen für das Commitment. Ist es erlaubt, die größte Zitiermühle aller Zeiten zu bemühen? »Es schaut der Geist nicht vorwärts, nicht zurück. Die Gegenwart allein ist unser Glück.« Diese Verse aus Goethes
Faust II
beschreiben eine Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick, die vor allem im antiken Zeiterleben der Epikureer aufscheint. Archivalien? Für Commitment ist es sehr praktisch zu sehen, dass streng genommen nur der Schwebepunkt der Gegenwart erlebt werden kann. Der Augenblick stellt den einzigen Berührungspunkt mit der Wirklichkeit dar, ja er
ist
die gesamte Wirklichkeit. Die Vergangenheit ist vergangen, und Zukunft wird es im Bewussten Erleben des einzelnen nie geben. Sie wird, wenn sie erlebt wird, immer Gegenwart sein. Tomorrow never comes. Wer aber nie gelernt hat, seine Energie im Hier und Jetzt zu konzentrieren, wird auch diese spätere Gegenwart nicht wirklich bewusst erleben.
»Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten.« Einem resignierenden Sigmund Freud ist mithin nur dann zuzustimmen, wenn man das Glück als Zielpunkt begreift. Seit Aristoteles kennen wir einen zweiten, praktischeren Begriff des Glücks: das Glück als
Wegesglück
. Der Glückliche blickt nicht in die Zukunft. Er ist
jetzt
voller Energie. Engagement denkt nicht an Morgen. Das »carpe diem« des Horaz, das in Peter Weirs Film »Der Club der toten Dichter« eine so unerwartete Renaissance erfuhr, meint diese Einmaligkeit des Augenblicks als Voraussetzung für Commitment. Die alten Griechen wussten noch, dass man niemals glücklich sein kann, wenn man es nicht sofort ist. Jetzt oder nie! Und man hat zum Glücklichsein nichts anderes nötig, als glücklich sein zu
wollen
. Vergangenheit und Zukunft können dazu nichts beitragen. Ein amerikanisches Sprichwort lautet: »Leben ist das, was dir passiert, während du andere Pläne schmiedest.«
Aus dem Arbeitsalltag aber vertrieben: die Konzentration auf Konzentration, die Versenkung in die Versenkung, das Bei-sich-Sein |87| des Meditativen, die Arbeit an Ruhe, Muße und Gelassenheit – all das ist in die Ghettos der Management-Seminare verbannt (und häufig dort nur rationale Kosmetik des Weiter-So). Es wird instrumentalisiert zur Steigerung sich nach vorne werfender, aktionistischer und zielverfolgender Selbstdynamisierung. Für die von Unternehmen so ersehnte Kreativität ist aber gerade das hochkonzentrierte Interesse an der Sache wichtig, das die Energien wie in einem Brennspiegel sammelt und das überhaupt erst den qualitativen Sprung des innovativen Neukombinierens ermöglicht.
Aber so wie viele Menschen auf ein besseres Morgen warten (wie immer das aussehen mag: sie warten auf den Feierabend, das Wochenende, den Urlaub, die Beförderung, die Rente; »wenn ich erst mal …«), ebenso sind die meisten Unternehmenskulturen solche des
Vorbereitens
. Das Unternehmen als Start- und Landebahn. Ein Transitraum. Kaum ist man gelandet, startet man wieder durch. Der Flug gilt nichts. Wir deplazieren uns, hat Paul Virilio gesagt. Reisen? Transportieren! Arbeiten, um Ziele zu erreichen. Arbeit als Countdown. Eine atemlos-hechelnde Mobilmachung ist, weil sie ständig in die Zukunft blickt, blind für die Gegenwart. Und in dieser Mittelbarkeit des »um zu« verschwinden die Freude am Da-Sein und der Wert des Jetzt.
Der wahre Reisende aber hat kein Ziel, nur eine Richtung. Er geht nicht irgendwohin, sondern entdeckt ständig, dass er anderswo ist. Er reist nicht, um die Distanz zum Ziel zu
überwinden
, sondern um Distanz zu
entdecken
. Nicht das Ziel macht die Reise notwendig, sondern das Reisen macht das Ziel möglich. Der österreichische Psychologe Viktor Frankl – durch sein Überleben der NS-Konzentrationslager so etwas wie ein Kronzeuge – fasst es zusammen: »Peile keinen Erfolg an – je mehr du es darauf anlegst und zum Ziel erklärst, um so mehr wirst du ihn verfehlen. Der Erfolg kann wie Glück nicht ver-folgt werden; er muss er-folgen als unbeabsichtigte Nebenwirkung, wenn sich der Mensch einer Sache widmet.« Kaizen. »Kai« ist das »Gute«. »Zen« ist der »Weg«. Dem Kostenvernichtungsscharfsinn ins Stammbuch: Kaizen ohne Zen geht nicht.
Einverstanden: Wie überall, so besteht auch hier die Gefahr,
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