Das Prinzip Selbstverantwortung
großen Ungewissheit«, mit der sich jeder Feldherr herumschlagen müsse, bedürfe es eher eines entschlossenen als eines glänzenden Verstandes; die Geistesgegenwart besiege das Unerwartete. Konzentration also, von der man eigenartigerweise (ich weiß keine Erklärung) oft sagt, dass sie »selbstvergessen« sei: Das ist die Fähigkeit, die gesamte Energie wie Sonnenstrahlen durch eine Linse zu bündeln.
Eine Anekdote dazu: Ein amerikanischer Freund, der mich in Deutschland besuchte und zum damaligen Zeitpunkt noch etwas gebrochen Deutsch sprach, sagte eines Morgens: »Ich werde heute Radio lauschen.« Vorsichtig verbesserte ich ihn: »Bei uns sagt man: Radio hören.« – »Ich weiß«, beharrte er, »aber ich möchte gerne Radio
lauschen
.« Ich begriff nicht sofort; erst später wurde mir klar: Konzentration – das ist der Unterschied, den Commitment ausmacht.
Als etwas entlegenes Beispiel für diesen Unterschied mag die Bemerkung Bertrand Russells über den Philosophen Ludwig Wittgenstein gelten, er sei als Soldat im Ersten Weltkrieg ein Mann gewesen, »der etwas so Belangloses wie explodierende Granaten nie bemerkt haben würde, wenn er über Logik nachdachte«. Thomas Mann, der jeden Tag – wirklich
jeden
Tag – von 9 bis 12 Uhr schrieb; selbst noch – wie Wolf Schneider berichtet – als um seinen Schreibtisch herum die Möbelpacker sein Arbeitszimmer ausräumten; Franz Schubert, der in 18 Jahren bis zu seinem frühen Tod 23 Klaviersonaten, 19 Ouvertüren, 18 Streichquartette, 15 Opern, neun Symphonien, sieben Messen und mehr als 600 Lieder in täglich sieben Stunden niederschrieb; Thomas Edison, dessen |82| unzählige Fehlversuche ihn nicht hinderten, den richtigen Glühfaden zu finden; Sigmund Freud, der auch noch nach 23 Kieferoperationen souverän weiterschrieb; Ernest Hemingway, der einige Kurzgeschichten dutzendmal umformulierte und erst nach täglich exakt 1000 Wörtern zu trinken begann.
»Aber ich bin doch nicht Hemingway«, werden Sie vielleicht denken. (»Vor allem aber der Müller aus dem Controlling nicht!«) Natürlich – überliefert sind diese Beispiele immer von den Genies der Weltgeschichte. Aber ich möchte dem Eindruck vorbeugen, Commitment sei etwas Großartiges, Spektakuläres. Kennt nicht jeder von uns Menschen, ganz normale Menschen, die voller Entschiedenheit, Geduld und Ausdauer
tun, was sie tun
? Menschen mit Handlungsleidenschaft? Die sogar unter den ungünstigsten äußeren Rahmenbedingungen ein Leben voll Wärme, Liebe und Zuversicht leben? Die voll und ganz bei der Sache sind? Committed sind?
Commitment kennt keinen absoluten Maßstab. Der
Maßstab bin immer »ich«.
Das meint auch die Bereitschaft einer Person zum persönlichen Opfer. Das Wichtige dabei ist: sie
erlebt
es nicht als Opfer. Natürlich gibt es Grenzen. Aber es ist nicht von vornherein voraussagbar, wo diese Grenzen liegen.
Aus der eingangs erwähnten Befragung:
»Sie ist an manchen Tagen nur wenige Stunden in der Firma; aber im Kopf, da dreht es sich immer um ihre Pläne.«
»Er lässt einfach nicht locker. Wenn er in einer Sache Klarheit haben will, dann will er Klarheit, koste es, was es wolle. Es ist manchmal sehr unbequem.«
»Er ist nicht etwa überheblich, aber bei ihm hat man immer das Gefühl, dass sein aktuelles Projekt das wichtigste des gesamten Konzerns ist.«
Die Stellungnahmen beziehen sich bei genauerem Hinsehen ausnahmslos auf das
Tun
, nicht auf eine Position oder Stelle. Es ist offenbar ein Unterschied, ob wir die Umstände, die Aufmachung, die Symbole unserer Arbeit mögen, oder aber die Substanz. »Ich mag es, Verkäufer zu sein« ist nicht dasselbe wie »Ich mag es, zu verkaufen«. »Ich liebe es, Führungskraft zu sein« ist etwas anderes |83| als »Ich liebe es, Menschen erfolgreich werden zu lassen«. Bevor Sie das als semantische Spielerei abqualifizieren, bitte ich Sie zu prüfen, wie viele Menschen in Ihrem Umfeld ihr konkretes Handeln lieben, oder aber die Umstände, die Statussymbole, das Schmerzensgeld. Falls Sie sich von Leuten trennen wollen, sollten Sie sich allenfalls von jenen trennen, die ihren Job lieben. Niemals von jenen, die ihre Arbeit lieben.
Für den Wirtschaftskontext mögen Begriffe wie »Disziplin« und »Liebe«, Beispiele wie Thomas Mann und Franz Schubert entlegen wirken; aber: die gleichen Grundprinzipien kommen zur Geltung. Ein näher liegender Begriff ist »Initiative«. Initiative, die aus der Erkenntnis erwächst, dass totale Sicherheit
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