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Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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ab.« Aufgeregt rannte
er aus der Höhle. Dort fand er den alten Einsiedler wieder und
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fragte ihn: »Welche Farbe haben die Höhlenwände denn nun
wirklich?«
    Da wurden die Augen des alten Mannes ausdrucklos, und er fiel
in tiefes Schweigen.

    In der alltäglichen Erfahrung ist es zweifelsfrei, dass wir mit unseren Sinnesorganen die Außenwelt wahrnehmen, die wirklich da ist und so ist, wie wir sie wahrnehmen. Wäre es anders, wie hätten wir bis heute überleben können? Aber für manche erledigt sich das Problem der Herkunft von Wasser ja auch durch die Existenz von Wasserhähnen. Nun sagen uns die Biologie und die Neurophysiologie – Forscher wie Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld, Francisco Varela oder Gerhard Roth –, dass wir aufgrund der Arbeitsweise unseres Gehirns die Wirklichkeit nicht etwa durch Erkennen abbilden, sondern ganz im Gegenteil
selbst konstruieren
. Wir »erschaffen« sie gleichsam, indem wir dem äußeren Sinnesreiz ein inneres Pendant hinzufügen.
    Auf dem Weg zu dieser Perspektive finden wir viele Einsichten von Wissenschaftlern seit der Antike:

    »Wir können unsere Wahrnehmung immer nur mit unseren Wahrnehmungen, nie aber mit dem Objekt unserer Wahrnehmung (…) vergleichen.« (Sextus Empiricus, 3. Jh. n. Chr.)

    »Glaubenssache wird die Annahme einer Außenwelt immer bleiben, da wir doch das, was wir von ihr wissen, thatsächlich nur als unser Inneres wissen (…).« (G. Th. Fechner, 1879)

    »Dies ist die stärkste Art der Entfremdung: Unsere Blindheit gegenüber einer Welt relativer Wahrheiten, die wir selbst erzeugen und für die daher der Mensch allein den absoluten Bezugspunkt darstellt (…).« (H. Maturana, 1982)

    Das sind zweifellos harte Nüsse für unseren so genannten »gesunden« Menschenverstand. Geht dieser doch davon aus, dass wir die Wirklichkeit »da draußen« durch unsere Sinne wahrnehmen und schrittweise immer genauer erkennen. Aber wir glauben ja fälschlicherweise auch, dass ein angestrahlter Gegenstand leuchtet – dabei reflektiert er nur.
    |96| Wahrnehmen und Erkennen sind nicht als eine wirklichkeits»abbildende«, sondern eher als eine wirklichkeits-»schaffende« Tätigkeit vorzustellen. Wirklichkeiterfassen ist dann Aktion, nicht Reaktion. »Wir antworten« – ich glaube nicht, dass die 3M Deutschland weiß, welchen Schatz sie in ihrem gleich lautenden Wahlspruch besitzt.
    »Klick-Klack« – Die Sprache unseres Gehirns
    Unsere Sinne sind keine passiven Organe, sondern aktive Fähigkeiten. Wir sehen nicht mit den Augen: wir sehen mit unserem Gehirn. Wir hören nicht mit unseren Ohren: wir hören mit unserer Erinnerung. Wir fügen den Gegenständen und Ereignissen der Außenwelt etwas hinzu, was wir zusammen dann Wirklichkeit nennen.
    Das können Sie sich selbst in diesem Augenblick deutlich machen: Während Sie dieses Buch lesen, macht es in Ihrem Kopf permanent »Klick«, »Klack«, »Klick«, »Klack«. Übersetzt heißt das: »Jetzt hat er recht«, »Nein, das ist falsch«, »Jetzt hat er wieder recht«, »Nein, das ist nun wirklich völlig daneben«. Gemeinhin nennt man das »Denken«. Unser Verstand neigt nämlich reflexhaft dazu, allem, was unserer bisherigen Erfahrung nicht entspricht, unrecht zu geben und bei solchen Argumenten zuzustimmen, die von unserer bisherigen Erfahrung gestützt werden. Wir übersetzen die Ereignisse der Außenwelt in unsere »Sprache« und weisen ihnen erfahrungsgestützte Bedeutungen zu. Das »Original« geht dabei unwiederbringlich verloren. Wir können zwar davon ausgehen, dass diese Außenwelt, das »Original«, auch dann noch vorhanden ist, wenn weder wir existieren noch sonst ein Mensch, der das Gesehene interpretiert. Aber diese Annahme der Tatsächlichkeit der Außenwelt ist für unsere Belange weder zwingend noch wichtig. Wir können behaupten, dass es sie gibt – aber das ist auch schon alles, was wir über sie aussagen können.
    Wer Sie also davor warnt, sich von der Wirklichkeit zu entfernen, verkennt, dass sie auch da ist, wo Kassandra sie nicht vermutet.
    |97| Falschnehmen?
    Es ist der Betrachter, der das Bild von der Wirklichkeit erzeugt. Roland Barthes setzte in einem anderen Zusammenhang die Geburt des Lesers mit dem Tod des Autors gleich. Das Absolute sei illusorisch, die Endlichkeit der Bedeutung wäre das Ende der Freiheit: wir sind frei, wie wir etwas erleben; niemand zwingt uns Bedeutung auf. Emerson schreibt in seinem grandiosen Essay »Self-Confidence«: »Das Gemälde wartet auf

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