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Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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Urteil jedes Mal laut und deutlich äußern. Einige vorher instruierte Personen hatten vom Versuchsleiter den Auftrag, nach einiger Zeit übereinstimmend falsch zu schätzen. Die Teilnehmer gerieten nun in einen Konflikt zwischen ihren eigenen (richtigen) Wahrnehmungen und den (falschen) Wahrnehmungen der anderen, instruierten Personen. Ergebnis: Die Versuchspersonen begannen nach kurzer Zeit, an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln. |112| Die meisten »fielen um« und schlossen sich der (falschen) Schätzung der anderen an. Nur ganz wenige Versuchspersonen hatten genügend Selbstvertrauen, an ihrer Meinung bis zum Schluss festzuhalten, nicht ohne große Unsicherheit zu äußern.
    Machen wir uns das sehr klar: Schon bei relativ einfachen Wahrnehmungen wie bei Strichlängen beugen sich Menschen dem Gruppendruck. Unsere eigene Wahrnehmung wird durch die Wahrnehmung anderer stark beeinflusst, manchmal sogar außer Kraft gesetzt. Das ist natürlich überaus wichtig für die Wirklichkeitskonstruktion in Unternehmen. Denn analoge Phänomene gibt es auch im Unternehmen zuhauf.
    Bei einem von mir selbst erlebten Beispiel ging es in einer Topmanagement-Runde um die Auswahl von High-Potentials für ein internationales Entwicklungsprogramm. Ich hatte mich vorher mit einem der auswählenden Manager über einen Kandidaten – nennen wir ihn »Ralf Müller« – unterhalten. Mein Gesprächspartner war der Überzeugung, dass Ralf Müller unbedingt – »objektiv« – zu dieser High-Pot-Gruppe gehören müsse; sein Potenzial sei noch nicht annähernd ausgeschöpft. Auf mein Nachfragen steigerte er seine Begeisterung noch und lobte ihn in den höchsten Tönen. Ich hatte kein eigenes Erleben von Ralf Müller, nahm also die Schilderung meines Gesprächspartners als das, was sie war: eine Geschichte. Wenn uns jemand eine Geschichte erzählt, will er uns verführen, seine Sichtweise zu übernehmen. Und diese Sichtweise rechtfertigt dann seinen Standpunkt.
    Als nun in der Management-Runde das Gespräch auf Ralf Müller kam, ergriff der Vorstandsvorsitzende als erster das Wort: »Ralf Müller, tja, ich kann gar nicht verstehen, wie der in diese Kandidatengruppe gekommen ist. Seine Performance war in den letzten Monaten nicht gerade überzeugend.« Kurze Schweigepause. Und bevor mein Gesprächspartner etwas sagen konnte, sekundierte ein anderes Vorstandsmitglied: »Ich bin vollkommen Ihrer Ansicht. Wenn Müller die Nachwuchselite unseres Unternehmens repräsentieren sollte, dann haben wir ein Problem. Da haben wir doch deutlich bessere Leute.« Zustimmendes Nicken bei den anderen Teilnehmern. – Mein Gesprächspartner sagte nichts mehr. Die Personalakte Ralf Müller wurde zur Seite gelegt.
    |113| Menschen haben ein ausgesprochen sensibles Gespür für das umgebende Meinungsklima. Es fällt vielen schwer, sich trotz anderer Einsicht gegen den Meinungstrend zu stemmen. Wenn in einem Meeting ein Interpretationsmonopolist erst einmal seine Meinung kundgetan hat, wirkt sie richtungweisend auf die anderen. Wenn nun ein zweiter, gar ein dritter zustimmt, werden die anderen unsicher: sie zweifeln ihre Wahrnehmung an oder schweigen, um sich nicht rechtfertigen oder außerhalb der Gruppe stellen zu müssen. So entstehen Gruppenmeinungen. Auch Schweigen ist Kommunikation. Die durch die »Schweigespirale« erzeugte Wirklichkeit ist zwar nicht »objektiv«, aber in ihren Konsequenzen faktisch: Ralf Müller ist out.
    Wohin das für das Unternehmen führen kann, wird jeder nachfühlen können, der schon einmal ein Unternehmen in den Konkurs hat gehen sehen: Niemand hatte es gewagt, das Lieblingsprojekt des Geschäftsführers in Frage zu stellen.
    Kreativität
    »Wirklichkeit erschaffen« ist das Urbild menschlicher Freiheit. Äußere Wahrnehmungsimpulse sind nur Anlässe für unser inneres Erleben. Jeder äußere Impuls ist eine neue Chance für die Wahl unserer Ein-Sicht: Dass diese Denkweise große Spielräume für Kreativität eröffnet, ja überhaupt erst Kreativität ermöglicht, liegt auf der Hand. Denn Kreieren heißt Erschaffen. Und da wir alle permanent unsere Wirklichkeit erschaffen, sind wir permanent kreativ. Eine andere Frage ist, ob wir es uns erlauben, unsere Kreativität auszudrücken und anzuwenden. Dabei ist es für mich immer wieder befremdlich, wie Manager einerseits das Hohelied der Kreativität und der Innovation singen, andererseits harthörig von der Objektivität der »Dinge an sich« überzeugt sind.
    Schauen wir kurz zurück: Ein

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