Das Prinzip Selbstverantwortung
Nozick hat darauf verwiesen, dass sich schöpferische Menschen vor allem dazu
entschieden
haben, schöpferisch zu sein. Als ein Beispiel diene der japanische Videospiel-Gigant Sega, dessen Mitarbeiter weder Stempeluhr noch feste Arbeitszeiten kennen. |116| Hayao Nakayama, Hauptaktionär von Sega, stellt bewusst alle japanischen Geschäftsregeln auf den Kopf, um eine kreative Leistungsatmosphäre zu schaffen. In seinem Büro hängen die Worte Marcel Prousts: »Die wirkliche Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu suchen, sondern sich die Welt mit neuen Augen anzuschauen.« Kreativität findet nur dort Raum, wo Individualität im Unternehmen ausdrücklich erlaubt, nein: gefordert ist. Die behauptete »Objektivität«, der zur Denkblockade geronnene Sachzwang: das ist der Tod der Innovation.
Positiv gewendet: Ohne radikale Subjektivität keine Kreativität. Die Unternehmen können sich entscheiden zwischen der Windstille stabiler Verhältnisse und dem Sturm dynamisch-kreativen Wandels. Es ist gleichzeitig die Entscheidung zwischen Unzuständigkeit und Zurechenbarkeit. Zwischen Konvention und Wandel. Zwischen organisierter Unverantwortlichkeit und selbstbewusster Eigenverantwortung. Boris Pasternak schrieb: »Das Ziel der schöpferischen Tätigkeit ist es, dass man
sich selbst
gibt« (Hervorhebung R. S.).
Der Markt ist schuld!?
Wie wichtig die Qualität unserer Antwort für erfolgreiches unternehmerisches Handeln ist, kann nicht deutlich genug herausgestellt werden. Die Tatsache beispielsweise, dass es Kundenreklamationen gibt, ist zunächst bedeutungsleer. Sie wird aber unterschiedlich erlebt. Hat der Mitarbeiter z. B. die Perspektive: »Reklamationen sind besonders unangenehm«, wird sein Verhalten völlig anders aussehen, als wenn er die Perspektive einnimmt: »Reklamationen sind besonders wertvoll.« Im ersten Fall hat er vermutlich Schutzstrategien im Kopf und ist defensiv eingestellt bis hin zur vorauseilenden Aggression. Im zweiten Fall begrüßt er die Reklamation als hilfreiche Rückmeldung, als kostenlose Marktforschung und als Einladung zur Innovation: Welche Chance, den Kunden zu halten, wo doch 95 Prozent der Unzufriedenen wortlos zur Konkurrenz wechseln! Der Kunde ist der beste Unternehmensberater! Nimmt er hinzu, dass durch sein |117| Verhalten – wie vielleicht mit keiner anderen sensiblen Stelle im Unternehmen vergleichbar – über das Image des Unternehmens im umgebenden Meinungsklima entschieden wird, so kann sich seine innere Landkarte im Kopf verändern – so, dass er den Kundenärger als besondere Herausforderung empfindet. Er »erschafft« sich seinen Kunden. Und er »erschafft« sich dabei selbst. Vom Opfer der Umstände (»Ich bin den Angriffen der Kunden hilflos ausgeliefert«) zum Regisseur der Situation (»Ich kann die Situation gestalten und etwas Nützliches für alle Beteiligten daraus entstehen lassen«).
Für das Erleben einer solchen Situation sind wir völlig selbst verantwortlich. Und was für den Einzelnen gilt, gilt auch für ganze Unternehmen. Selbst wenn diese es oft nicht wahrhaben wollen: Der Markt ist schuld! Dabei können wir wählen, wie wir die von außen kommende Störung des Gleichgewichts zwischen Markt und Unternehmen erleben und wie wir darauf reagieren. Analysen des Nixdorf-Desasters zum Beispiel vermitteln leicht den Eindruck mechanistischer Fatalität: Alles kam so, weil es so kommen musste. Damit verschwimmt alle Verantwortlichkeit der Handelnden. Ebenso begründen Manager den Erfolg des Unternehmens oft mit Faktoren, die sie nicht beeinflussen können: das richtige/falsche Produkt zur richtigen/falschen Zeit, der günstige/ ungünstige Dollarkurs, konjunkturelle Schwankungen, Wandel der Konsumenteneinstellung. Bei Problemen wird die Opfer-Story naturgemäß erweitert: die hohen Personalkosten im Inland, geschlossene Auslandsmärkte, wirtschaftspolitische Unwägbarkeiten, subventionierte Auslandskonkurrenz, staatliche Auflagen, Gewerkschaften, der Wertewandel, die Gesellschaft. Keine Verallgemeinerung ist billig genug, um das Mea culpa! zu vermeiden. Passionsspiele. Und dennoch lehrt der Blick in nahezu alle Branchen: Selbst unter ungünstigen, aber für alle identischen äußeren Rahmenbedingungen sind einige Unternehmen erfolgreicher als andere.
Es gibt keine lineare, gleichsam zwanghafte Ursache-Wirkungs-Relation, wie das immer wieder behauptet wird, um bestimmte unternehmenspolitische Entscheidungen (wie beispielsweise Entlassungen) zu
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