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Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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unverbildetes Kind, das durch einen Wald geht, fühlt sich einem großen Organismus angehörig. Es spaltet sich nicht als Subjekt vom Objekt »Wald« ab. Es ist
in
ihm. Als Kinder sind wir auf natürliche Weise kreativ. Unser Leben ist ein einziger Abenteuerspielplatz. Wir bauen auf. Zerstören. |114| Bauen wieder auf. Wir sind reich. Erfindungs-Reich. Grenzenlos. Jeder Packkarton ist uns ein Hochseedampfer. Wir schlüpfen in Kostüme, spielen Lebens-Rollen und wechseln sie in Sekundenschnelle, wenn sie uns nicht mehr gefallen. Und wir haben viel Freude dabei.
    Unterm Rad der Erziehung wird diese Kreativität oft durch Anpassung an die Üblichkeit verschüttet. Wir fangen an, festzuhalten und uns am scheinbar Objektiven der Gewohnheit und der vorgezeichneten Lebenswege einzurichten. Zu jedem Thema im Leben entwickelt unsere Erfahrung Standpunkte, die wir dann für richtig halten. Wir haben Erfolge und beginnen, diese erfolgreichen Verhaltensweisen und Standpunkte abzuspeichern.
    In gewissem Sinne engt deshalb jede Erfahrung ein. Überzeugungen sind Gefängnisse, sagt Nietzsche. Da »Enge« denselben Wortstamm wie »Angst« hat, erklärt es sich, dass einige Menschen die Erfahrungen und Meinungen anderer oft geradezu als Bedrohung erleben. Sie werden aggressiv. Sprechen dem anderen das Recht ab, die Dinge so zu sehen, wie sie sie sehen. Sie rechtfertigen sich, d. h., sie »fertigen« sich das »Recht«. Damit tun sie nichts anderes, als ihre Vergangenheit zu verteidigen. Sie »wieder-holen« ständig das bereits Gelebte, den Bodensatz der eigenen Geschichte. »Ach, wissen Sie, ich habe 25 Jahre Führungserfahrung«, sagte mir ein Manager. Dabei hatte er nur
ein
Jahr Führungserfahrung. Und das lag 24 Jahre zurück.
    Kreativ sein bedeutet nun, die einengenden Glaubenssätze aus unserer Vergangenheit zu überschreiten. Wir können mit dem Material spielen. Wir alle gehören zur Gattung des Homo ludens. Kreativ sein heißt dann, das grundlegende Konzept fallenzulassen, dass es einen »richtigen« Standpunkt zu jedem Thema gibt. »Neu-Gierig-Sein« ist die Kerntugend von Kreativität. Sich erweitern. Sich bereichern lassen. Das wiederum bedeutet: »richtige« Standpunkte und »wahre« Überzeugungen »sein lassen« können. Damit sind alle Standpunkte und Überzeugungen
in uns
, nicht mehr außerhalb.
    Kreativität hat also primär den Charakter des Sich-wieder-Öffnens über das vorgeblich Richtige, Zwangsläufige oder auch nur Routinierte hinaus. Das ist die schöpferische Neugestaltung von |115| Wirklichkeit (Beispiel: Swatch). Die Schöpferkraft des einzelnen, die Fähigkeit, im Erkenntnisprozess Wirklichkeit nicht abzubilden, sondern zu erschaffen, das ist der Kern menschlicher Kreativität. Unser Kopf ist rund gemacht, damit das Denken die Richtung ändern kann, sagt Francis Picabia. Kreativität heißt dann: Dasselbe sehen wie alle anderen. Aber etwas anderes dabei denken.
    Wenn Wirklichkeit im Unternehmen aber nicht durch irgendwelche objektiven Verhältnisse, sondern durch Kommunikation hervorgebracht wird, dann ist sie veränderbar. Alle Veränderung beginnt im Kopf. Das ist die Stunde der »Kreativität«, die wir so händeringend im Unternehmen zu ent-decken suchen. Kreativität ist gleichzusetzen mit der Ablösung des vorherrschenden Modells, die Dinge zu betrachten. Kreativität ist immer auch
destruktiv
, schon in der berühmten Definition Schumpeters: »Innovation ist die kreative Zerstörung des Bestehenden durch Unternehmer.« Dazu müssen Traditionen, Konventionen, Muster, Normen, Schemata und Rollen, kurz: die Verpflichtung auf konventionelle Verhaltensweisen gelockert werden. Das geht nur in verstärkter Individualität; das geht nur in verstärkter innerer Unabhängigkeit; dazu muss der Status quo mindestens ansatzweise durchbrochen werden. Wir haben viel zu lange die trägen Träume von festen Fundamenten geträumt, von objektiven Garanten und Schiedsrichtern.
    Keineswegs geht es mir hier darum, bildungsbürgerliche Individualitätsideale zu verwirklichen. Ich verweise auf die Chancen der Subjektivität beim Erkennen und Bewältigen von Problemen. Das ist die Fähigkeit, auf die es ankommt: die Fähigkeit, den Blick zu wechseln. Für das Thema »Qualität« ist nichts wichtiger. Von innen und von außen betrachten. Nichts für selbstverständlich halten! Keine »Denknotwendigkeiten« anerkennen! So hießen die Forderungen Albert Einsteins. »Wer nicht mehr staunen kann, ist sozusagen tot.«
    Robert

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