Das Prinzip Selbstverantwortung
dem Jammertal: »Wenn jemand so bescheuert fährt, da
muss
man ja wütend werden!«
Gefühle sind letztlich Kreationen unserer Vergangenheit zum Zwecke des Rechthabens. Dabei geht es nicht darum, sie zu unterdrücken. Aber für unsere Gefühle sind wir genauso verantwortlich wie für unsere Gedanken. Beide stehen in enger Verbindung. Es gibt keinen Unterschied zwischen vorausgehendem rationalen »Erkennen« und nachfolgendem emotionalen »Interpretieren«. |106| Deshalb können wir unsere Gefühle beeinflussen, indem wir die Qualität unseres Bewusstseins, unserer Gedanken ändern. Indem wir auf
andere
Weise antworten.
Prüfen Sie bitte diesen Gedanken zunächst gründlich, bevor Sie ihn ablehnen. Vielleicht ist es hilfreich, sich vorzustellen, dass Sie sicher zunächst oft spontan gefühlsmäßig reagieren. Aber schon bald können Sie – wenn Sie wollen – innerlich zur Seite treten, sich beobachten und dann entscheiden, ob Sie weiter diese Antwort wählen. Es ist ganz einfach praktisch, so zu denken: Niemand ist so wichtig, dass er es wert wäre, sich über ihn zu ärgern.
Ich erinnere noch sehr gut eine junge Managerin, die darunter litt, dass ihr Chef ihr offensichtlich nur wenig zutraute und bei schwierigen Aufgaben häufig andere Mitarbeiter bevorzugte – bis ihr klar wurde, dass sie selbst diejenige war, die diese Tatsache für sich wichtig werden ließ. Dass sie selbst ihr die Bedeutung gab. Sie räumte diesem Chef außerordentlich viel Einfluss auf ihre Lebensqualität (bis zur Schlaflosigkeit) ein und ließ es zu, durch sein Urteil ihr Selbstwertgefühl ankratzen zu lassen. Sie hielt die Gedanken eines anderen über sich für wichtiger als ihre eigenen. Sie fing an zu glauben, es sei ein »wahres« Urteil über sie. Sie schob ihrem Chef Verantwortung für ihre Gefühle zu. Aber niemand zwang sie, so zu empfinden. Es war an ihr, diese Situation nicht einfach hinzunehmen, sondern zu verändern: ihr Erleben zu schildern, mit der Sichtweise ihres Chefs abzugleichen und die Situation neu zu verhandeln. Oder abzuwählen.
Das Wort »Selbstverantwortung« zeigt: Wir antworten. Wir ver-antworten unsere Antwort vor unserem Selbst.
Das
ist die Instanz, vor der Verantwortung faktisch ist. Viele lassen sich – oft reflexhaft – von dem beherrschen, was andere für richtig oder falsch halten. Wer sich seiner Verantwortung für das Erleben bewusst wird, erfährt sich selbst als Gestalter des Lebens. Die Macht zurückgewinnen. Sich selbst ermächtigen. Das ist die Grundbedingung von Exzellenz: wenn Sie das, was Sie tun, vor Ihrem Selbst verantworten; wenn es Ihnen – ich schränke ein: wenigstens näherungsweise – egal ist, was andere davon halten. Sonst machen Sie sich abhängig von den Wechselfällen des gehobenen oder gesenkten Daumens.
|107| Erkenne dich selbst!
»Denn sie wissen nicht, was sie tun.« Den meisten Führungskräften ist die Tatsache nicht bewusst, dass nicht die »Dinge an sich«, sondern ihre Weltsicht, ihr innerer Bezugsrahmen sich an den Gegenständen äußert. Deshalb interessieren sie sich auch nicht für sich selbst und noch weniger für die Einzigartigkeit ihrer Erfahrung. Sie interessieren sich vor allem für das, was sich an der Peripherie ihrer Existenz abspielt, ohne anzuerkennen, dass sich etwas
in ihnen
abspielt.
Als der weit über 80jährige Management-Papst Peter F. Drucker Anfang 1993 in einem Interview gefragt wurde, welchen Tipp er jungen Führungskräften aufgrund seiner langen Erfahrung mitgeben würde, lautete seine Antwort: »Erkenne dich selbst!« Mancher, der nach der »Goldenen Regel«, nach dem Über-Trick schielte, mag enttäuscht worden sein. Aber vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen ist es für Führungskräfte unabweisbar, wie wichtig dieses »gnothi seauton!«, einst gemeißelt über den Eingang des Apollotempels in Delphi, für verantwortliches Führungshandeln ist. »Eine Antwort wählen« setzt voraus, die Bestimmungsfaktoren der eigenen Persönlichkeit, die individuellen Prägungen und Rollenbilder zu kennen: Was bestimmt mein Lebens-Drehbuch? Was sind die wichtigsten Vorstellungen von guter und schlechter Führung, richtig und falsch, die ich z. T. seit meiner Kindheit durch meine Leben trage? Was treibt mich an? Wo bin ich empfindlich?
Nur wenn Sie sich selbst die wesentlichen Bestimmungsgründe Ihres Handelns, die »Glaubenssätze« Ihres Lebens anschauen, können Sie sich von ihnen distanzieren, d. h., Sie handeln nicht reflexhaft.
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